Skip to main content

20.02.2024 | Biowerkstoffe | Schwerpunkt | Online-Artikel

Biotechnologie soll innovative Materialien erzeugen

verfasst von: Thomas Siebel

4 Min. Lesedauer

Aktivieren Sie unsere intelligente Suche, um passende Fachinhalte oder Patente zu finden.

search-config
loading …

Biotechnologisch erzeugte Werkstoffe könnten fossilbasierte Kunststoffe ersetzen, neue Materialien ermöglichen und den Weg in die Kreislaufwirtschaft beschleunigen. Doch noch passen die Rahmenbedingungen nicht.

Die Biotechnologie gilt als eine Schlüsseltechnologie für Deutschland: Sie verspricht Lösungen für die Ernährungssicherheit, den Klimaschutz und für eine krisenfeste und nachhaltige Volkswirtschaft, und sie bildet die Grundlage für künftige Innovationen und Wertschöpfung in ganz unterschiedlichen Anwendungsfeldern. Die Entwicklung des Covid-19-Impfstoffs ist ein prominentes Beispiel, doch das Potenzial von Biotechnologie reicht über die Anwendung in der Medizin (Rote Biotechnologie) und der Pflanzenzucht (Grüne Biotechnologie) hinaus.

Aus ingenieurstechnischer Sicht ist die sogenannte Weiße Biotechnologie interessant, die neben der Umwandlung von Biomasse in Kraftstoffe oder künstlich hergestelltem Fleisch auch die Entwicklung von innovativen Werkstoffen umfasst. Kunststoffe und chemische Grundstoffe werden heute klassischerweise aus Erdöl erzeugt. Doch wichtige Anwenderindustrien wie die Verpackungsindustrie, der Automobilbau, die Medizin oder die Elektronik suchen nach klimaneutralen Prozessen und einem Weg in die Kreislaufwirtschaft – weg von fossilen Rohstoffen. Laut einer Roadmap des Verbands Plastics Europe könnte der Anteil der fossilbasierten Kunststoffe bis 2050 auf 35 % sinken.

Werkstoffe aus Mikroorganismen oder Biomasse gewinnen

Zwei Biotechnologien stehen im Fokus, wenn es darum geht, fossilbasierte Werkstoffe zu verdrängen:

  • Genomeditierung: Mikroorgansimen mit gezielt verändertem Stoffwechsel erzeugen Verbindungen, die als Bausteine für Chemikalien und Werkstoffe dienen.
  • Verwendung von Biomasse: Biomasse oder auch Reststoffe aus Abfällen werden zu Materialien wie Kunststoff oder Kohlenstofffasern umgewandelt. In Bioraffinerien werden zunächst einzelne Komponenten wie Cellulose, Stärke oder Lignin aufgetrennt und dann mithilfe von Enzymen, Mikroben oder physikalisch-chemischer Methoden weiterverarbeitet.

Der biomassebasierte Ansatz kommt in der Industrie zunehmend zum Einsatz, wenngleich heute erst 1 % des global produzierten Kunststoffs auf nachwachsenden Rohstoffen basiert. Dennoch, Biokunststoffe eröffnen beispielsweise der Automobilindustrie auch jenseits der bereits etablierten Naturfaserverbunde die Möglichkeit, erdölbasierte Polymere zu ersetzen. Schätzungen zufolge könnte sich das Marktvolumen für biobasierte Kunststoffe bis 2026 gegenüber 2020 verdreifachen.

Drop-in-Lösungen und komplett neue Materialien gefragt

Derzeit sucht die Industrie dabei sowohl nach Drop-in-Lösungen – also biobasierten Materialien, deren Zusammensetzung den fossilen Pendants gleichen – als auch nach komplett neuen Materialien und Prozessen. Constance Ißbrücker vom Verband European Bioplastics erwartet vor allem für PLA, biobasierte Polyamide und Drop-in-Lösungen wie Bio-PE und Bio-PP ein signifikantes Marktwachstum.

Die Vorteile biotechnologisch gewonnener Werkstoffe sind klar: Der Einsatz erneuerbarer Ressourcen mindert die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen und öffnet den Weg in eine Kreislaufwirtschaft. Gleichzeitig bleibt der Weg zum kommerziellen Erfolg aber steinig. Der Forschungsbedarf ist nach wie vor hoch, während sich grundlegende Technologien nicht ohne Weiteres vom Versuchs- auf den Industriemaßstab hochskalieren lassen.

"Sehr großes Potenzial" für Deutschland

Für eine aktuelles Impulspapier hat die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (Acatech) 96 Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft danach befragt, wie sich die Potenziale der Biotechnologie entfesseln lassen. Die Einschätzung der Experten ist zunächst einmal positiv: Für Deutschland und Europa sehen sie im Bereich von innovativen Werkstoffen ein sehr großes Potenzial, das aufgrund kontinuierlicher Investitionen und einer funktionierenden interdisziplinären Zusammenarbeit sogar das der USA übersteigt.

Wie sich der Markt genau entwickeln wird, lässt sich derzeit allerdings kaum vorhersagen, da zum einen das Feld der Anwenderbranchen – zum Beispiel Chemie, Textilien, Bau, Konsumgüter – heterogen ist und sich zum anderen die Entwicklung von Ölpreis sowie Rohstoff- und Energiekosten stark auswirkt.

Experten fordern mehr politischen Einsatz

Doch die Befragten sehen auch die Politik in der Pflicht, bessere Rahmenbedingungen zu schaffen. Regulatorische Hürden, langwierige Zulassungsverfahren und mangelnde Investitionssicherheit erschweren den Weg zur Bioökonomie, so die Experten. Unter anderem folgende Maßnahmen sollte die Politik aus Sicht der Experten ergreifen:

  • Auf EU-Ebene sollte die Bundesregierung den regulatorischen Rahmen für biotechnologische Anwendungen in der Industrie stärker mitbestimmen.
  • Die Politik sollte Investitions- und Rechtssicherheit herstellen, und dabei das Konzept der Kaskadennutzung zugrunde legen: Verwendung von Biomasse zunächst als Nahrungs- oder Futtermittel, bevor eine stoffliche und zuletzt eine energetische Nutzung in Betracht gezogen werden.
  • CO2 sollte global bepreist werden.
  • Besonders CO2-sparende Verfahren – und damit auch das Recycling von Biomasse – sollten mit monetären Anreizen oder einer Gutschrift von CO2-Zertifikaten  gefördert werden.
  • Modulare und gut zugängliche Pilotanlagen für neue Recyclingverfahren sollten gefördert werden.
  • Im Rahmen von Reallaboren sollten Wissenschaft, Wirtschaft, und Staat gemeinsam einheitliche und beschleunigte Zulassungsverfahren entwickeln.

Laut Henning Kagermann, Vorsitzender des Acatech-Kuratoriums, besteht in Deutschland dringender Handlungsbedarf, um biotechnologische Innovationen entstehen und groß werden zu lassen: "Erfolgsgeschichten wie die von BioNTech sollten kein Einzelfall bleiben, sondern bestenfalls zur Regel werden."

Weiterführende Themen

Die Hintergründe zu diesem Inhalt

Das könnte Sie auch interessieren

    Marktübersichten

    Die im Laufe eines Jahres in der „adhäsion“ veröffentlichten Marktübersichten helfen Anwendern verschiedenster Branchen, sich einen gezielten Überblick über Lieferantenangebote zu verschaffen.