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Open Access 2024 | OriginalPaper | Buchkapitel

Ein erster methodischer Ansatz zur Identifikation von Ungewissheiten bei der individuellen Durchführung der Materialparameterermittlung für numerische Simulationen aus arbeitspsychologischer Sicht

verfasst von : Henriette Muxlhanga, Johann Arne Othmer, Oliver Sträter, Karl-Heinz Lux, Ralf Wolters, Jörg Feierabend, Junqing Sun-Kurczinski

Erschienen in: Entscheidungen in die weite Zukunft

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Der Kernkraftwerksbetrieb endet. Doch die dabei entstandenen hochradioaktiven Abfälle sind für einen sehr langen Zeitraum sicher im geologischen Untergrund ein- beziehungsweise endzulagern. Angesichts von Ungewissheiten, die planungsseitig auf Prozess- und Systemebene bestehen, ist eine möglichst robuste Endlagerkonzeption erforderlich. Diese Forderung bezieht sich nicht nur auf die technische Ausgestaltung, sondern muss auch soziale Aspekte mitbetrachten – in diesem Fall den im Rahmen der Arbeitspsychologie genannten Faktor Mensch. Auf den Planungs- und Ausführungsprozess bezogen sind darunter die menschlichen Einflüsse zu verstehen, die aus subjektiv geprägtem Handeln resultieren. Die Ursachen und möglichen Auswirkungen des Faktors Mensch auf die technische Planung werden in diesem Beitrag beispielhaft untersucht. Im Rahmen des Planungsprozesses sind numerische Simulationen zur prognostischen Ermittlung des Endlagersystemverhaltens etabliert. Grundlage für die numerische Simulation ist die Abbildung des geplanten Endlagersystems in einem Simulationsmodell durch die Modellierenden. Für die Prognose des Langzeitverhaltens lässt sich nur schwer einschätzen, ob bei der Durchführung der rechnerischen Simulationen der jeweilig Modellierende mit seiner individuellen Vorgehensweise einen relevanten Einfluss hat. Daher wird in diesem Beitrag der individuelle Einfluss von Modellierenden am Beispiel einer Einlagerungsstrecke betrachtet, für die eine Prognose ihres langfristigen Tragverhaltens vorzunehmen ist. Ein Teil dieser Planungsarbeiten umfasst die Ermittlung von Parametern zur physikalischen Abbildung des Gebirgsverhaltens und die Simulation der Streckenverformungen im Laufe der Zeit. Vor diesem Hintergrund sind mehrere Modellierer parallel bei der Parameterermittlung mit verschiedenen methodischen Ansätzen der Arbeitspsychologie beobachtet worden. Die Ergebnisse dieses Beitrags zeigen, in welchem Umfang und aus welchen Gründen der Faktor Mensch bei der Prognose des Verhaltens sicherheitstechnischer Komponenten des Endlagersystems relevant sein kann. Daher sollte der Faktor Mensch soweit möglich bereits proaktiv auf Seiten des Antragstellers und nicht nur reaktiv im Rahmen des Genehmigungsverfahrens berücksichtigt werden.

1 Einleitung

In Deutschland wird ein Standort für ein Endlager für die angefallenen hochradioaktiven Abfälle gesucht, BGE (2022), da diese für lange Zeit eine Gefahr für Mensch und Umwelt darstellen. Für die langfristige und sichere Entsorgung radioaktiver Abfälle hat sich international das Konzept der geologischen Endlagerung durchgesetzt (Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe 2016). Da aus sicherheitstechnischer Sicht die Konstitution sowie das räumliche und zeitliche Verhalten des Endlagersystems mit Ungewissheiten behaftet sind, gestaltet sich die Bewertung der Langzeitsicherheit eines Endlagers als Herausforderung.
Im Rahmen dieses Berichts werden die folgenden Definitionen verwendet:
  • Ungewissheiten: Ungewissheiten lassen sich nach Eckhardt (2020) als Mangel an ausreichender oder eindeutiger Information zu einem Risiko definieren.
  • Sicherheit: Sicherheit wird im Folgenden als Systemzustand mit technisch und gesellschaftlich als vertretbar erachteten Risiken verstanden und damit als Zustand akzeptierter Risiken (vgl. Eckhardt 2020).
  • Menschliche Faktoren: Unter den menschlichen Faktoren sind „alle physischen, psychischen und sozialen Charakteristika des Menschen, insofern sie das Handeln […] beeinflussen“ (Badke-Schaub 2008, S. 4), zu verstehen.
Durch eine Freisetzung von Radionukliden aus den untertage abgelagerten Abfällen resultiert auch nach dem Verschluss eines Endlagers die Gefahr nachteiliger Folgen für Mensch und Umwelt. Daher ist für die Bewertung des sicheren Zustands des Endlagers die Erfassung möglicher Bandbreiten in der Entwicklung des Endlagersystems von zentraler Bedeutung. Numerische Simulationen können die Charakterisierung verschiedener Endlagersystementwicklungen ermöglichen. Der Ausgangspunkt für numerische Simulationen des Endlagersystemverhaltens ist ein verifiziertes und validiertes Simulationsinstrumentarium. Zu beachten ist, dass numerische Simulationsergebnisse auch mit Daten-, Parameter- und Modellungewissheiten (Röhlig 2024) behaftet sind. Daher stellt sich grundsätzlich die Frage nach der Validität der Simulationsergebnisse in Abhängigkeit von menschlichen Handlungen bei rechnerischen Simulationen (Faktor Mensch). Da das Endlagerkonzept grundsätzlich auf dem Prinzip der Gewährleistung „passiver Sicherheit“ beruht, ist vor allem in der Planungsphase sowie der nachfolgenden Ausführungsphase der Faktor Mensch als entscheidender Einfluss auf die Langzeitsicherheit zu berücksichtigen. Daher stellt sich in diesem Zusammenhang die folgende Forschungsfrage:
Welchen Einfluss kann der Mensch in seiner Eigenschaft als Planender bzw. Modellierender auf numerische Simulationsergebnisse haben und wie lässt sich dieser menschliche Einfluss begründen?
Zur Beantwortung dieser Frage sind exemplarisch zwei psychologische Experimente (im Folgenden „Experiment 1“ und „Experiment 2“) entwickelt worden. Diese befassen sich mit dem Prozess zur Bestimmung von Materialparametern für das stationäre Kriechen von Steinsalz, das für eine Prognose von Gebirgsdeformationen relevant ist. Da bei der Materialparameterermittlung individuelle Entscheidungen getroffen werden, fokussieren sich beide Experimente auf die Erfassung individueller menschlicher Faktoren. Im Hinblick auf die Erfassung des Faktors Mensch sowie dessen Auswirkungen auf die Parameterermittlung sind von vier Versuchspersonen (VP) mit technischem Hintergrund zunächst Parameter auf der Grundlage von identischen Laborversuchsdaten ermittelt worden. Dieser Prozess ist aus arbeitspsychologischer Sicht untersucht worden. Anschließend sind auf den Parameterermittlungen aufbauend mechanische Simulationen zum Gebirgstragverhalten durchgeführt worden. Das folgende Kapitel gibt zunächst einen Überblick über den technischen Hintergrund dieser psychologischen Experimente.

2 Technischer Hintergrund

Für die Endlagerung radioaktiver Abfälle in Deutschland kommen drei Wirtsgesteinstypen infrage: Salinar-, Ton- und Kristallingestein. Um zunächst das mechanische Materialverhalten eines Wirtsgesteins zu beschreiben und dann weiter das Tragverhalten des Gebirges in Reaktion auf den technischen Eingriff zu simulieren, werden physikalisch-mathematische Modelle (Stoffmodelle) entwickelt. Diese Stoffmodelle enthalten Parameter, die für die lokationsspezifische Anwendung auf Laborversuchen basierend ermittelt werden. Bei der Ermittlung dieser Parameter werden individuelle und subjektiv geprägte Entscheidungen getroffen, die sich auf deren Quantifizierung und damit auf die Simulationsergebnisse auswirken.
Im Rahmen dieser Arbeit wird ausschließlich das Salinargebirge (Steinsalz) als Wirtsgestein berücksichtigt. Da in diesem Beitrag keine tiefergehende Beschreibung der angewendeten Stoffmodelle sowie des Hintergrunds der Modellierung im Steinsalz vorgenommen werden kann, wird an dieser Stelle auf das Verbundprojekt „Weiterentwicklung und Qualifizierung der gebirgsmechanischen Modellierung für die HAW-Endlagerung im Steinsalz“ (WEIMOS) verwiesen. Weitere Informationen zur physikalisch-mathematischen Beschreibung der hier verwendeten Stoffmodelle und den enthaltenen Materialparametern sind den entsprechenden Literaturverweisen zu entnehmen.
Das mechanische Materialverhalten von Steinsalz wird als elasto-viskoplastisch angenommen (Lux 1984). Die als Kriechen bezeichnete zeitabhängige viskoplastische Verzerrung setzt sich aus transientem, stationärem und tertiärem Kriechen zusammen. Über lange Zeiträume werden die Verformungen des Steinsalzgebirges durch das stationäre Kriechen dominiert, daher ist es für die exemplarische Untersuchung menschlicher Faktoren und ihrer Konsequenzen ausgewählt worden.
Für die Modellierung des stationären Kriechens existieren verschiedene Stoffmodellansätze. Exemplarisch werden für die beiden psychologischen Experimente die drei Stoffmodellansätze nach Norton-Hoff aus Norton (1929), Lubby 2 aus Lux (1984) und modLubby aus Lerche (2012) genutzt. Jedes dieser stationären Kriechmodelle enthält Materialparameter, die anhand von Labordaten aus Kriechversuchen an Steinsalzprüfkörpern bestimmt werden müssen. Hierfür wird für beide Experimente auf die Ergebnisse von Kriechversuchen aus Herchen et al. (2016) zurückgegriffen. Darüber hinaus sind in Herchen et al. (2016) Informationen zur Durchführung dieser Kriechversuche enthalten.
Im Rahmen der Untersuchungen zum Einfluss des Faktors Mensch sind zwei verschiedene Simulationsmodelle, die mit einer Einlagerungsstrecke einen typischen Teil eines Endlagerbergwerks abbilden, entwickelt und mittels des Simulationsprogramms FLAC3D 7.0 berechnet worden (siehe Abb. 1). Das dargestellte Modell 1 wurde für die Simulationen in Experiment 1 herangezogen und zeigt ein dreidimensionales generisches Simulationsmodell einer Einlagerungsstrecke im Steinsalzgebirge. Das umliegende Salinargebirge ist in Beige, das Versatzmaterial Salzgrus in Grün und der Abfallbehälter in Rot dargestellt. Dagegen wurde für die Simulationen in Experiment 2 das dreidimensionale lokationsspezifische Modell 2 entwickelt, das eine untertägige Situation aus einem Bergwerk im Salinargebirge in den USA, der sogenannten WIPP-Site, abbildet. In diesem Modell enthalten, sind auch die geologischen Gegebenheiten am Standort mit den am Gebirgsaufbau beteiligten unterschiedlichen Salinargesteinen. In Türkis wird argillaceous salt – ein tonhaltiges Salinargestein –, in Violett clean salt – ein Salinargestein mit hohem Steinsalz-Anteil –, in Rot Anhydrit und in Grün Polyhalit dargestellt.
Im nächsten Kapitel wird genauer auf die Methodik und den Ablauf der beiden durchgeführten Experimente eingegangen, um die Herangehensweise zur Beantwortung der Forschungsfrage darzulegen.

3 Methodik und Ablauf der Experimente

Zunächst soll zur Bearbeitung der Forschungsfrage das arbeitspsychologische Instrumentarium aufgezeigt werden, mit dessen Hilfe menschliches Entscheiden bei der Bearbeitung technischer Aufgabenstellungen erfasst werden kann.
Für die Durchführung des Experimentes soll hier nur der Einfluss des Modellierenden betrachtet werden, der sich durch die individuelle Festlegung der Parameter ergibt, unabhängig davon, wie gut die verwendeten Modelle die Realität abbilden. Das Entscheidungsverhalten der modellierenden Versuchspersonen lässt sich gemäß dem kognitiven Verarbeitungszyklus nach Sträter (2005) in bewusste und unbewusste kognitiv-emotionale Aspekte unterscheiden. Um diese Aspekte zu untersuchen, werden die folgenden drei Methoden herangezogen:
  • PANAS-Fragebogen: Der PANAS-Fragebogen, auch als „Positive and Negative Affect Schedule“ (Watson et al. 1988) bekannt, umfasst 20 ungeordnete Adjektive, die in zwei Skalen unterteilt werden. Sie bestehen aus jeweils 10 negativen (ängstlich, bekümmert, beschämt, durcheinander, erschrocken, feindselig, gereizt, nervös, schuldig, verärgert) und 10 positiven (aktiv, angeregt, aufmerksam, begeistert, entschlossen, freudig erregt, interessiert, stark, stolz, wach) Adjektiven. Hierbei schätzen Versuchspersonen für spezifische Zeitintervalle ihre emotionalen Zustände (Affekte, Empfindungen, Gefühle und Stimmungen) nach der Intensität auf einer fünfstufigen Likert-Skala („trifft gar nicht zu“ bis „trifft voll zu“) ein. Zusätzlich ist dieser Fragebogen nur im ersten Experiment um die beiden positiven Adjektive „sicher“ und „selbstsicher“ erweitert worden (Breyer und Blümke 2016).
  • Lautes Denken: Bei der Methode des Lauten Denkens artikuliert jede Versuchsperson ihre bewussten Gedanken oder Emotionen und Annahmen während der Durchführung einer Handlung (z. B. Werte eingeben, Korrekturen vornehmen, Daten-Kontextualisierung). Auf diese Weise lassen sich die getroffenen Einschätzungen bei Entscheidungen nachvollziehbar dokumentieren und auswerten (Mey et al. 2010).
  • Blickbewegungsmessung: Die Blickbewegungsmessung ist ein Messverfahren, um physiologische Reaktionen der Augen zu erfassen und lässt Rückschlüsse auf die emotionale Belastung einer Person zu, die eine situationsbezogene Anstrengung erlebt. Diese Methode beruht auf der Refraktion von Infrarotstrahlen an der Regenbogenhaut. Ein mobiles Kamerasystem detektiert alle Augenbewegungen – Bewegungen des Augapfels, Lidschluss-, Pupillenmotorik – und die Umgebung der jeweiligen Versuchspersonen (Galley und Kopiez 2003).
Im Folgenden werden der generelle Ablauf beider Experimente sowie der Prozess der Parameterermittlung nacheinander vorgestellt.
Experiment 1: Modell 1, PANAS-Fragebogen, Lautes Denken, PANAS-Fragebogen und freie Diskussion
Zu Beginn des Experimentes wurde jede Versuchsperson zu ihrem Wissensstand zur Parameterermittlung befragt und ein PANAS-Fragebogen vorgelegt. Im Anschluss wurde während der Parameterermittlung für das Stoffmodell Lubby 2 die Methode des Lauten Denkens angewendet. Hiernach führte jede Versuchsperson eine rechnerische Simulation mit Modell 1 zum Tragverhalten der Einlagerungsstrecke mit den individuellen Parametern durch. Im Anschluss daran wurde erneut eine PANAS-Befragung durchgeführt. Abschließend ist nach drei Tagen eine gemeinsame Besprechung der Simulationsergebnisse erfolgt.
Nachstehend wird die technische Abfolge zur Parameterermittlung vorgestellt. Hierbei werden die Materialparameter \(\bar{\eta}_{m}\) und m für das Stoffmodell Lubby 2 ermittelt, deren Datengrundlage aus Kriechversuchen an zylindrischen Steinsalzprüfkörpern erhoben wurde. Abb. 2 zeigt exemplarisch eine Kriechkurve als Ergebnis eines zweistufigen Laborversuchs mit unterschiedlicher axialer Belastung \(\sigma_{v}\). Für die Bestimmung der Materialparameter muss der handelnde Modellierende (im Folgenden als Versuchsperson bezeichnet) anhand der Laborkurven zum Verformungsverhalten des Steinsalzprüfkörpers den Bereich des stationären Kriechens festlegen und für diesen Bereich die stationäre Kriechrate \(\dot{\varepsilon }^{stat}\) ermitteln. Da der Bereich des stationären Kriechens nicht genau zu definieren ist, liegt es im Ermessen der Versuchsperson diesen Bereich festzulegen, was durch die weißen Pfeile in Abb. 2 verdeutlicht wird. Die stationäre Kriechrate wird anhand der Zunahme der Axialverzerrung in Abhängigkeit von der Zeit ermittelt. Die individuelle Festlegung des Bereichs wirkt sich daher wiederum auf die Kriechrate, welche durch eine weiße Gerade in Abb. 2 verdeutlicht wird, aus.
Im Anschluss wird der Maxwell-Viskositätsmodul \(\bar{\eta}_{m}\) nach Lux (1984) bestimmt. Der bis hier beschriebene Prozess zur Materialparameterermittlung ist für jeweils zwei Belastungsstufen \(\sigma_{v}\) der insgesamt 7 auszuwertenden Kriechversuche durchgeführt worden. Anschließend werden die damit erhaltenen 14 Maxwell-Viskositätsmoduln \(\bar{\eta}_{m}\) in ein halblogarithmisches \(\sigma_{v}\)\(\overline{\eta }_{m}\)- Diagramm eingetragen, Abb. 3. Danach wird durch das Datenkollektiv in diesem \(\sigma_{v}\)\(\overline{\eta }_{m}\)- Diagramm eine Ausgleichsgerade gelegt. Einerseits kann diese Ausgleichsgerade nach einem mathematischen Verfahren, wie der Methode der kleinsten Quadrate oder andererseits durch jede Versuchsperson individuell bestimmt werden (z. B. abgesenkter bzw. angehobener Mittelwert, Erfahrung, Gefühl). Die Möglichkeit eines individuellen Ansatzes resultiert daraus, dass der Tragwerksplaner im untertägigen Bauen nicht auf ein genormtes Regelwerk zurückgreifen kann, sondern eine konservative Abschätzung unter Berücksichtigung aller Ungewissheiten treffen muss. Die daraus resultierende Bandbreite in der Position der Ausgleichsgeraden wird in Abb. 3 durch die Pfeile verdeutlicht. Dabei kann keine Herangehensweise präferiert werden, da die Labordaten mit Ungewissheiten behaftet sind. Des Weiteren unterliegt auch die Gewichtung von vereinzelten Datenwerten, die als Ausreißer (siehe Markierung „?“, Abb. 3) auftreten können, keiner Systematik. Wie einzelne Ausreißer in diesem Entscheidungsprozess gewichtet werden, ist in hohem Maße von der Versuchsperson abhängig (rational, intuitiv). Je nach Wichtung unterscheiden sich die Position der Ausgleichsgeraden und dadurch die ermittelten Materialparameter.
Der Parameter \(\overline{\eta }_{m}^{*}\) kann dabei aus dem y-Achsenabschnitt der Ausgleichsgeraden abgelesen werden, während der Parameter \(m\) aus der Steigung der Ausgleichsgeraden ermittelt wird. Abschließend muss der Parameter \(\overline{\eta }_{m}^{**}\) nach Lux (1984) berechnet werden. Somit wird das physikalische Modell, das das Kriechverhalten des Steinsalzgebirges in situ beschreiben soll, auch durch die Art der Herleitung dieser Parameter beeinflusst.
Sowohl die Parameterermittlung als auch die Besprechung der Simulationsergebnisse sind online erfolgt. Die aus der Besprechung gewonnenen Erkenntnisse sind in die Vorbereitung und Durchführung des zweiten Experiments eingeflossen.
Experiment 2: Modell 2, PANAS-Fragebogen, Blickbewegungsmessung und PANAS-Fragebogen
Zu Anfang des zweiten Experimentes wurde den Versuchspersonen ein PANAS-Fragebogen vorgelegt. Anschließend sind die Parameterermittlungen für einen neuen Datensatz an Laborversuchen durchgeführt und diese mittels Blickbewegungsmessung beobachtet worden. Daran anschließend wurden rechnerische Simulationen zum Verformungsverhalten mittels des Modells 2 sowie den individuell bestimmten Parametern durchgeführt. Abschließend wurde den Versuchspersonen erneut ein PANAS-Fragebogen mit einem markanten Filmausschnitt aus ihrer Blickbewegungsmessung zur Kommentierung vorgelegt.
Im zweiten Experiment wurden neben den Materialparametern für das Stoffmodell Lubby 2 sowohl die Materialparameter für die Stoffmodelle Norton-Hoff als auch modLubby ermittelt. Hierzu wurden acht weitere Kriechversuche mit jeweils zwei Belastungsstufen ausgewählt. Jeder Versuchsperson wurde zufällig eines von drei Stoffmodellen zugewiesen. Somit wurden durch die vier Versuchspersonen die Materialparameter einmal für das Stoffmodell Lubby 2 und das Stoffmodell modLubby sowie zweimal für das Stoffmodell Norton-Hoff bestimmt. Die Materialparameterermittlung für das Stoffmodell Lubby 2 in Experiment 2 ist wie in Experiment 1 erfolgt. Für das Stoffmodell modLubby entspricht die Materialparameterermittlung weitgehend der Parameterermittlung für das Stoffmodell Lubby 2. Jedoch muss nach der Ermittlung der Materialparameter \({{\bar{\eta}}_{m}}^{**}\) und m noch zusätzlich der Materialparameter \(a\) bestimmt werden. Hierdurch müssen \({{\bar{\eta}}_{m}}^{**}\) und m erneut an das Datenkollektiv angepasst werden. Der Parameter a liegt erfahrungsgemäß zwischen -0,5 und -1,5 und ist im Rahmen dieses Experimentes für das Datenkollektiv auf -1 festgelegt worden. Zwar unterscheidet sich die Materialparameterermittlung für das Stoffmodell Norton-Hoff von dem Vorgehen für die Stoffmodelle Lubby 2 und modLubby, jedoch ist der erste Schritt, bestehend aus der Ermittlung der stationären Kriechrate, identisch. Anschließend wird die stationäre Kriechrate \(\dot{\varepsilon }^{stat}\) in ein halb- oder ein doppeltlogarithmisches \(\sigma_{v}\)\(\dot{\varepsilon }^{stat}\)-Diagramm eingetragen (siehe Abb. 4). In dieses Diagramm wird die Potenzfunktion nach Norton (1929) geplottet und mit den Materialparametern A und n so ausgerichtet, dass diese den Verlauf des Datenkollektivs optimal wiedergibt. Der Prozess dieser Ausrichtung ist wie bei den anderen Stoffmodellen durch die individuelle Entscheidung des Modellierenden geprägt, was durch die Pfeile in Abb. 4 verdeutlicht wird.
Nachstehend erfolgt die Auswertung der aus den Experimenten erhaltenen Ergebnisse. Im Blickpunkt stehen dabei die potentiellen technischen Auswirkungen der jeweilig erfolgten Parameterermittlung und die psychologischen Spezifika.

4 Auswertung der Experimente aus technischer und arbeitspsychologischer Sicht

An dieser Stelle soll die Herangehensweise zur arbeitspsychologischen Auswertung beider Experimente erläutert werden. Die Darstellung entspricht hierbei dem Experimentablauf.
Während des ersten und des zweiten Experiments wurde ein PANAS-Fragebogen vor und nach der Parameterermittlung eingesetzt. Aus dem Fragebogen ließ sich anschließend für jede Versuchsperson ein Vorher-Nachher-Vergleich bestimmen, der aufzeigt, wie sich die Gefühle (Affekte) während der Parameterermittlung anhand einer positiven und einer negativen Skala verändert haben.
Parallel zur Parameterermittlung wurde nur in Experiment 1 das Laute Denken durchgeführt. Zur Auswertung wurden mittels Transkription die von den Versuchspersonen getätigten Aussagen in die Begriffe „Vorbereitung“, „Trendlinie“, „Anpassung“ und „Begründung“ kodiert. Dies dient der Beschreibung und Begründung der zugrunde liegenden Annahmen bei getroffenen Entscheidungen der jeweiligen Versuchsperson während der Parameterermittlung. In einer abschließend durchgeführten Online-Diskussion ist auf die Begriffe und Entscheidungen eingegangen worden, um Begründungen zu überprüfen und Verbesserungen aufzuzeigen.
Während der Parameterermittlung in Experiment 2 wurde eine Blickbewegungsmessung durchgeführt. Hierbei werden mittels eines Minikamerasystems auf einem Brillengestell die Blickbewegungen aufgezeichnet. Für die Auswertung ist Pupil-Labs-Software (V3.4) verwendet worden, um Beobachtungswerte (genauer: Blinzel-, Pupillendurchmesser- und Fixationsmesswerte), die für jede Versuchsperson charakteristisch sind, zu ermitteln. Aus den zeitlichen Veränderungen dieser psychometrischen Werte lassen sich Aufmerksamkeitsveränderungen aufzeigen, die auf die jeweiligen Abwägungs- und Entscheidungsprozesse zurückzuführen sind (Beatty 1982).
Darüber hinaus ist in Experiment 1 und 2 eine nicht metrische dimensionslose Skalierung (NMDS) über Kennzahlen vorgenommen worden, um die technischen und psychologischen Aspekte miteinander in Beziehung zu setzten. Hierbei wurden die Kennzahlen aus PANAS-, Blinzel-, Pupillendurchmesser- und Fixationsmesswerten sowie die Simulationsergebnisse genutzt. Diese Methode basiert auf einer Rangkorrelation, bei der die Beobachtungswerte erst in eine Reihenfolge gebracht und die jeweilige Positionsnummer (Rang) korreliert wird. Durch dieses statistische Verfahren ist ein Vergleich von dimensionsbehafteten Werten in einem Streudiagramm möglich. Ausgehend von möglichst vielen Startpositionen wird ein lokales Minimum der Schwankungsbreiten angestrebt. Je kleiner dieser Wert ist, umso vertrauenswürdiger ist das Ergebnis (Culmsee 2010). Dieses Verfahren wurde auf beide Experimente separat angewendet, um aufzuzeigen, welche Zusammenhänge für den Vergleich der Ergebnisse herangezogen werden können. Vor diesem Hintergrund werden die Ergebnisse im folgenden Kapitel dargelegt.

5 Ergebnisse

In diesem Kapitel werden die technischen und arbeitspsychologischen Ergebnisse aus Experiment 1 und 2 vorgestellt.
Experiment 1: Modell 1, PANAS-Fragebogen, Lautes Denken, PANAS-Fragebogen und freie Diskussion
Das Resultat aus der individuellen Materialparameterermittlung durch die vier Versuchspersonen (abgekürzt VP) für das Stoffmodell Lubby 2, ist in Tab. 1 festgehalten.
Tab. 1
Auflistung der individuell bestimmten finalen Materialparameter für das stationäre Kriechen des Stoffmodells Lubby 2
Parameter
VP 1
VP 2
VP 3
VP 4
\(\overline{\eta }_{m}^{**}\)
2,94E13
9,81E13
2,77E14
6,53E13
m
−0,195
−0,31
−0,3632
−0,236
Die aus den Materialparametern resultierenden Simulationsergebnisse werden exemplarisch für die vertikale Verschiebung, welche auch als z-Verschiebung bezeichnet wird, in Tab. 1 für die Streckenfirste dargestellt. Der Begriff Streckenfirste bezeichnet dabei den oberen Bereich der Strecke (umgangssprachlich (ugs.) „Decke“). Durch das Inset in Abb. 5 wird die Position der berechneten Verschiebungen mit einem Pfeil verdeutlicht. Für die vier Parametersätze der Versuchspersonen wird die ermittelte vertikale Verschiebung über einen Zeitraum von 100.000 Jahren abgebildet. Hierbei zeigt sich, dass in der Anfangsphase von 1 bis 300 Jahren die Verschiebungen deutliche Unterschiede aufweisen. Der maximale Unterschied in der Firstverschiebung zwischen Versuchsperson 1 und Versuchsperson 3 liegt nach 20 Jahren bei einem Faktor von bis zu 2,5. Die vertikalen Verschiebungen aller Versuchspersonen zum Zeitpunkt 20 Jahre nach Verschluss fließen in der Auswertung als Kennzahlen in eine nicht metrische multidimensionale Skalierung (NMDS) ein. Der Zeitraum von 300 bis 10.000 Jahren weist hingegen wesentlich geringere Unterschiede in der berechneten Firstverschiebung auf. Im Zeitraum von 10.000 bis 100.000 Jahren lassen sich Firstverschiebungsdifferenzen mit einem Faktor von bis zu 1,4 erkennen.
Werden diese technischen Ergebnisse mit der beobachteten individuellen Herangehensweise zusammengebracht, ergeben sich aus der arbeitspsychologischen Sicht weitere Erkenntnisse, die im Folgenden dargestellt werden. Von besonderem Interesse sind die Affektänderungen, da sie anzeigen, dass kognitive Prozesse sich auch auf emotionale Zustände (Affekte) auswirken. In Tab. 2 wird ein Vorher-Nachher-Vergleich als Resultat des PANAS-Fragebogens in Experiment 1 aufgeführt. Diese Tab. 2 ist so aufgebaut, dass die Angaben der Versuchspersonen auf der Likertskala bei einem Unterschied von 1 im Vergleich zu Versuchsbeginn zur Angabe „schwache Veränderung“ und bei mehr als 2 als „starke Veränderung“ zusammengefasst werden. Werden diese Angaben je nach positiver oder negativer Skala gegenübergestellt, ergeben sich daraus die jeweilige Affekttendenz. Ist der Betrag positiv (> = 0) bzw. negativ (< = 0) wurde dies in Spalte 3 vermerkt.
Tab. 2
Ergebnis aus der Befragung mittels PANAS-Fragebogen aus Experiment 1
Versuchs-person
Schwache Veränderungen (±1)
Starke Veränderungen (≥±2)
Affekttendenz
VP1
Interessiert (erhöht), begeistert, nervös, aufmerksam (verringert)
Freudig erregt, stark, angeregt, gereizt, entschlossen (verringert)
Negative Tendenz
VP2
Bekümmert, freudig erregt, verärgert, stark, wach (erhöht); stolz, begeistert, nervös, ängstlich (verringert)
Durcheinander (erhöht)
Negative Tendenz
VP3
Interessiert, wach, entschlossen (verringert), beschämt, selbstsicher, durcheinander, ängstlich (erhöht)
Angeregt (erhöht), aufmerksam (verringert)
Negative Tendenz
VP4
Freudig erregt (erhöht); nervös, selbstsicher (verringert)
Stolz (erhöht)
Positive Tendenz
Um das Entscheidungsverhalten bei der Festlegung der Parameter transparent und nachvollziehbar zu erfassen, wurde das Handeln der Versuchspersonen ergänzend in der Auswertung der PANAS-Fragebögen mittels der Methode des Lauten Denkens beobachtet. Es zeigte sich, dass die Versuchspersonen das Laute Denken unterschiedlich praktizierten. Drei Tage später fand eine Nachbesprechung statt, in der die Versuchspersonen ihre Vorgehensweise und die Ergebnisse der Simulation dargelegt haben. Hierbei wurde festgestellt, dass die Festlegung der stationären Kriechphase als schwierig empfunden wurde, obwohl detailliertere Darstellungen verwendet wurden. Außerdem wurde die Ermittlung der Kriechraten durch unsaubere Kurven erschwert. Die Einschätzung und der Umgang mit Datenausreißern beim Ermitteln der Parameter und die Unsicherheiten sind auch mittels lautem Denken erfassten worden. Aus der abschließenden Nachbesprechung geht hervor, dass der Bestimmung von \({\eta }_{m}^{**}\) und \(m\) besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden muss. Aus dem Diskurs lässt sich ableiten, dass die Unsicherheit verringert werden kann, wenn weitere Informationen zu den Umständen der Versuchsdatenentstehung gegeben werden, um den Entscheidungsprozess der Modellierenden insgesamt zu unterstützen. Außerdem wurde durch die Revision des Vorgehens und der Simulationsergebnisse ein Aufdecken von eventuellen Handlungsfehlern ermöglicht. Durch den Informationsaustausch konnte das Gesamtwissen vertieft werden. Diese Diskussion hat dazu geführt, dass zwei Versuchspersonen die Parameter neu ermittelt haben. Diese finalen Parameter, welche für die rechnerischen Simulationen verwendet wurden, sind in Tab. 1 angegeben.
Experiment 2: Modell 2, PANAS-Fragebogen, Blickbewegungsmessung und PANAS-Fragebogen
Aus der individuellen Materialparameterermittlung für die Stoffmodelle modLubby, Norton-Hoff und Lubby 2 der vier Modellierer (Versuchspersonen) resultieren die Ergebnisse in Tab. 3. Diese Tabelle dient der Nachvollziehbarkeit und Dokumentation der ermittelten Parameter. Aufgrund eines bearbeiterseitigen Fehlers in der Bestimmung der Materialparameter für das Stoffmodell Norton-Hoff hat Versuchsperson 3 die Materialparameter nochmals bestimmt, weswegen die Materialparameter VP3.1 (fehlerhafte Bestimmung) sowie VP3.2 (korrekte Bestimmung) entstanden sind.
Tab. 3
Auflistung der individuell bestimmten Materialparameter für das stationäre Kriechen der Stoffmodelle modLubby, Norton-Hoff und Lubby 2
 
VP1
VP2
V3.1
VP3.2
VP4
modLubby
\({\eta }_{m}^{**}\)
    
3,92E + 14
m
    
−0,2
a
    
−1
Norton-Hoff
A
4,00E-11
 
3,69E-12
2,92E-11
 
n
5,0889
 
5,9011
5,03
 
Lubby 2
\({\eta }_{m}^{**}\)
 
3,27E + 13
   
m
 
-0,23
   
Die aus den unterschiedlichen Materialparametern erhaltenen Simulationsergebnisse zur Vertikalkonvergenz aus dem Room D der WIPP-Site werden in Abb. 6 dargestellt. Unter Konvergenz ist die Längenänderung zwischen zwei Punkten zu verstehen, in diesem Fall von der Streckenfirste- und sohle; verdeutlicht durch das Inset in Abb. 6. Zusätzlich angegeben ist der In-situ-Messwert, also der untertage in Room D gemessene Wert, der Vertikalkonvergenz für die Beobachtungszeit von 1400 Tagen. Hierbei ist zu erkennen, dass alle Simulationsergebnisse deutlich unterhalb des In-situ-Messwertes liegen. Dieser Unterschied ist darauf zurückzuführen, dass in der rechnerischen Simulation nur der stationäre Kriechprozess berücksichtigt wurde. Weitere Prozesse, die zu zusätzlichen Verformungen führen, wie der transiente Kriechprozess, sowie die Schädigung des Gebirges in Konturnähe der Strecke, wurden vernachlässigt, sind aber in den In-situ-Messwerten enthalten. Daher können hier nur die Raten der In-situ-Messwerte und der Simulationsergebnisse in der stationären Deformationsphase verglichen werden. Beim Vergleich der Simulationsergebnisse fällt auf, dass Kurve VP2 des Stoffmodells Lubby 2 annähernd die Steigung der In-situ-Messwerte wiedergibt. Eine deutlich geringere Steigung weist Kurve VP4 des Stoffmodells modLubby auf. Die geringste Übereinstimmung mit der Steigung der In-situ-Messwerte zeigen die Kurven VP1 und VP3 des Stoffmodells Norton-Hoff auf. Ein Vergleich der Simulationsergebnisse innerhalb des gleichen Stoffmodells ist nur bei Norton-Hoff möglich und zeigt Unterschiede in der Größenordnung des Faktors 1,2 nach 1400 Tagen.
Aufgrund von Modellungewissheiten kann ein Vergleich nur innerhalb desselben Stoffmodels erfolgen. Daher ist für die Bewertung des Faktors Mensch die Vertikalkonvergenz analog zu Experiment 1 nur für die VP 1 (dunkelblau) und 3 (gelb) zu nutzen, Abb. 6.
Auch in Experiment 2 kann auf die Ergebnisse aus dem standardisierten PANAS-Fragebogen in Tab. 4 zurückgegriffen werden. Hierbei gab Versuchsperson 1 an, nach der Parameterermittlung weniger aktiv, wach, entschlossen, aufmerksam und stark zu sein als zuvor. Hingegen war Versuchsperson 3 freudig erregter, begeisterter, wacher und auch weniger gereizt und nervös. Des Weiteren war Versuchsperson 3 erschrockener, bekümmerter, beschämter und weniger aufmerksam als zu Beginn der Parameterermittlung. Alle weiteren Angaben aus dem PANAS-Fragebogen blieben unverändert.
Tab. 4
Befragungsergebnis aller Versuchspersonen aus dem PANAS-Fragebogen für Experiment 2
Versuchs-person
Schwache Veränderungen (±1)
Starke Veränderungen (≥ ± 2)
Affekttendenz
VP1
Aktiv, wach, entschlossen, aufmerksam (verringert)
Stark
(verringert)
Negative Tendenz
VP2
Freudig erregt, wach, nervös (erhöht);
entschlossen, bekümmert, verärgert, durcheinander
(verringert)
stolz, begeistert
(erhöht)
Positive Tendenz
VP3
Freudig erregt, begeistert, bekümmert, erschrocken, beschämt (erhöht)
Gereizt, nervös, aufmerksam (verringert); wach (erhöht)
Negative Tendenz
VP4
Aktiv, freudig erregt, angeregt (erhöht), wach (verringert)
Keine starken
Veränderungen
Positive Tendenz
In den Spalten 2 und 3 sind in Tab. 4 schwache und starke affektive Veränderungen dargestellt. Diese Affektänderungen können zu einer emotional positiven Tendenz (Aktivierung) oder zu einer emotional negativen Tendenz (Hemmung) führen. So lässt sich entnehmen, dass die Versuchsperson 1 vor allem eine Verringerung der positiven Affekte auf der Affektskala angegeben hat. Andererseits hat Versuchsperson 2 eine Erhöhung positiver Affekte und eine geringe Abschwächung negativer Affekte erfahren und weist insgesamt eine positive Affekttendenz auf. Versuchsperson 3 zeigt ebenfalls eine negative Affekttendenz auf, doch fällt diese weniger deutlich aus als bei Versuchsperson 1. Das Experiment führte bei der Versuchsperson 4 zu einer leichten Aktivierung, jedoch wurde keine starke Affektveränderung angegeben. Auffallend ist, dass der Affekt wach bei allen Versuchspersonen verändert wurde.
Um die Parameterermittlung auch physiologisch zu untersuchen, wurde die Methode der Blickbewegungsmessung (Eye-Tracking) eingesetzt. Aus den Filmmitschnitten geht hervor, dass die Blinzeldauer mit der Versuchszeit zunahm. Blinzeldaten (blinks) geben an, wie häufig eine Versuchsperson geblinzelt hat. Dies ist ein Hinweis auf trockene Augen, Müdigkeit oder auch Verwunderung, weil durch das Schließen der Augen die Informationsaufnahme ans Gehirn reduziert wird. Als weiteres Ergebnis der Blickbewegungsmessung wird die Fixation betrachtet. Verharrt das Auge für mehr als 80 ms an einer Position, wird dies als eine Fixation gezählt, die ein Maß für die Aufmerksamkeit ist. Den Blickfeldstudien von Beatty (1982) ist zu entnehmen, dass das Auge unmittelbar auf Stimuli reagiert, was auch in dieser Blickbewegungsmessung bestätigt werden kann. Ebenso lässt sich aus den Ergebnissen ableiten, dass die Messungen erfolgreich waren. Werden die Pupillendurchmesser als Zeitverlauf dargestellt, lässt sich die Informationsverarbeitung über die Zeit aufzeigen. Dazu werden die gemessenen Pupillendurchmesser auf einen Normdurchmesser bezogen. Somit werden Veränderungen des Durchmessers gegenüber dem ‚Normalzustand‘ erfasst. Als Lagewert kann der Median angenommen werden, da er von Ausreißern unbeeinflusst ist. Für den Verlauf der in Abb. 7 gezeigten Grafen ist eine Glättung in 10-s-Zeitschritten durchgeführt worden. Da sich beide Augen symmetrisch verhalten, ist als weitere Vereinfachung nur das Ergebnis der Messung eines Auges dargestellt. Es zeigt sich, dass die Versuchspersonen 1 und 3 sowie die Versuchspersonen 2 und 4 ähnliche Verläufe aufweisen. In Abb. 7 ist gut erkennbar, dass die Grafen sich bei etwa 600 s zunächst dem Normalwert von 1 annähern.
Da die Versuchsbedingungen für alle VP vergleichbar sind, lässt sich dieses Ergebnis für die weitere Auswertung heranziehen. Aus Abb. 7 kann entnommen werden, dass nach etwa 600 s die Eingewöhnungsphase für alle VP beendet ist – nur VP3 weist bis zu dieser Stelle einen gegenläufigen Verlauf auf. Auffallend ist, dass ab 600 s die Graphen entsprechend ihrer Affekttendenz zusammenliegen, was mit einer durchschnittlich verengten Pupille bei positiver beziehungsweise geweiteten Pupille bei negativer Affekttendenz zusammenfällt. Werden nun die PANAS-Ergebnisse mit den Pupillendaten aus Abb. 7 verglichen, so zeigt sich, dass bei Versuchspersonen 2 (grün) und 4 (rot) eine positive Affekttendenz besteht, anders als bei VP1 (blau) und VP 3 (grau). Deutlich wird, dass die Pupillengröße mit emotionalen Gemütszuständen korreliert.
Zu den Ergebnissen der Blickbewegungsmessung gehören die aufgenommenen Videoausschnitte von etwa 5-minütiger Dauer, die den Versuchspersonen im Anschluss zur Kommentierung gezeigt worden sind. Dies ist verbunden mit der Frage, ob die Versuchspersonen den ihrer Meinung nach größten Einfluss des Modellierenden beschreiben können. Die Ergebnisse zeigen unterschiedliche Betrachtungsschwerpunkte bei der Parameterermittlung, auf die zu achten ist. So gaben die Versuchspersonen VP 2 und VP 3 an, die beide einen individuell-optischen Ansatz gewählt haben, dass Umrechnungen einen Einfluss haben. Die Genauigkeit der Messdaten und wie diese bei der Parameterermittlung zu gewichten sind, war für die Versuchspersonen 1 und 4 entscheidend. Außerdem gab es bei Versuchsperson 2 eine gravierende Störung durch einen unerwarteten Aufmerksamkeitswechsel der Versuchsperson, der zur Unterbrechung des Experiments führte. Darüber hinaus hatten die Versuchspersonen 3 und 4 technische Schwierigkeiten während des Experiments. Die Zusammenstellung der Befragungsergebnisse befindet sich in der nachfolgenden Tab. 5.
Tab. 5
Ergebnis des Fragebogens zu Einflüssen des Modellierenden bei der Parameterermittlung aller Versuchspersonen in Experiment 2
Versuchsperson
Einfluss des Modellierenden
VP1
Wichtung der Punkte
VP2
Konzentrationsverlust bei Störung
Nachkommastellen wegen Umrechnung
VP3
Improvisation durch technische Einschränkungen
Kommastellen wegen Umrechnung
VP4
Improvisation durch technische Einschränkungen
Interpretation der Labordaten
Aus Tab. 5 lässt sich entnehmen, dass für die Versuchspersonen besondere Schwierigkeiten von der Wichtung der Punkte ausgehen, die vorrangig aus der Unkenntnis der genauen Laborversuchsbedingungen für die Versuchsdaten und damit für die berechneten Parameter resultieren. Als kritisch wurde auch die Umrechnung und Beachtung von Nachkommastellen beschrieben (VP2 und VP3). An dritter Stelle stehen technische Schwierigkeiten, die zu Fehlern führen können. Letztlich können auch Störungen zu Konzentrationsschwierigkeiten beitragen.
Im folgenden Kapitel wird betrachtet, welche Zusammenhänge sich aus den Ergebnissen von Experiment 1 und 2 herleiten lassen.
Zusammenführung der Ergebnisse von Experiment 1 und 2
Um die Wirkzusammenhänge zwischen der Parameterermittlung und den emotionalen Zuständen (Affekten) aus dem PANAS-Bogen aufzuzeigen, wurde eine nicht metrische multidimensionale Skalierung (NMDS) durchgeführt. Aufgrund des breiten Spektrums dieser verschiedenartigen Eingangswerte wird die NMDS als Interpretationshilfe herangezogen. Ausschlaggebend für die Interpretation ist die Nähe der Kennzahlen zueinander, die unabhängig ihrer Dimension in Zusammenhang gebracht werden. Die NMDS zeigt die Wirkzusammenhänge auf: Je näher Punkte zusammenliegen, desto enger ist der Bezug zwischen diesen. Ein zentraler Wert für die Aussagekraft der NMDS-Ergebnisse ist das Alienation-Gütekriterium. Werte ≥ 0,2 werden als nicht belastbar angesehen (Clark 1993; Culmsee 2010). Daher muss beachtet werden, dass die Auswertung dieser Methode nur qualitativ erfolgen kann und hier als Interpretationshilfe für mögliche Zusammenhänge der erhobenen menschlichen Faktoren herangezogen wird.
Aus Experiment 1 sind hierbei die Firstverschiebung 20 Jahre nach Verschluss sowie die Ergebnisse aus dem PANAS-Fragebogen in der NMDS berücksichtigt worden (Abb. 8). Dieses Vorgehen wurde mit den in Experiment 2 erhobenen Messwerten aus dem PANAS-Fragebogen (in Abb. 9), der Blickbewegungsmessung (als Pupdiam bezeichnet) sowie die Simulationsergebnisse (als Vertikalkonv[1400 d] bezeichnet) von Versuchsperson 1 und 3 wiederholt. Werte mit Klammern stellen die PANAS-Items dar, was auch durch ein „P“ angezeigt wird. Die Bezeichnungen „+“ und „−“ stehen entsprechend für die positive bzw. negative Skala der Affekte und die Angaben „v“ und „n“ bezeichnen die jeweilige „Vor“ bzw. „Nach“-Befragung der Versuchspersonen. Zur besseren Lesbarkeit sind diese jeweils über den Bildern aufgeführt. In beide NMDS-Analysen ist darüber hinaus der Aspekt Alter der Versuchspersonen berücksichtigt worden, da es in diesen Experimenten sehr stark mit der Erfahrung korreliert, die die Versuchspersonen zum Zeitpunkt der Erhebung beim Modellieren vorweisen konnten.
In Abb. 8 ist zunächst das Ergebnis der NMDS aus Experiment 1 dargestellt. In blau wurde der Bereich eingegrenzt, der für die hier betrachtete Fragestellung am interessantesten ist, da das Cluster (blau gestrichelt) festgelegt, welche Affekte mit der Firstverschiebung 20 Jahre nach Verschluss (zV20a [m]) den größten Zusammenhang aufweisen können. Aus Übersichtlichkeitsgründen werden sie an dieser Stelle aufgelistet: nervös(Pn−), wach(Pn+), selbstsicher(Pn+), entschlossen(Pn+), durcheinander(Pn−), begeistert(Pn+), ängstlich(Pn−), aufmerksam(Pn+).
In Abb. 8 ist die Punktwolke mittels NMDS erzeugt worden und hat in dieser Anordnung ein Gütekriterium von 0,38 (unten links). Wie oben beschrieben dient sie an dieser Stelle als Interpretationshilfe und dem Vergleich beider Experimente. Da keine Orientierung oder Skala vorhanden ist, wird nur auf die Punkte selbst Bezug genommen: Am unteren Rand der Abb. 8 sind zu Versuchsbeginn nur das „Alter“ und „entschlossen(Pv+)“ nah beieinander. Somit kann abgelesen werden, je älter und damit erfahrener eine Versuchsperson ist, umso entschlossener ging sie an den Versuch heran. Da in dieser Abb. 8 ein Vergleich zwischen den Affektangaben aller Versuchspersonen enthalten ist, kann mit Blick auf das Cluster und in Zusammenhang mit Tab. 2 für diesen Versuch festgehalten werden, dass die Versuchspersonen weniger nervös, wach, entschlossen, durcheinander, ängstlich und selbstsicher waren als vor dem Versuch.
In der nachfolgenden Abb. 9 sind die Ergebnisse des zweiten Experiments dargestellt. Gut zu erkennen sind die einzelnen Lagepunkte. Das hier gezeigte Cluster (blau gestrichelte Form) enthält den technischen Wert Vertikalkonv[1400 d]. Ebenfalls im Cluster enthalten sind die PANAS-Werte (wach(Pn+), durcheinander(Pn−), entschlossen(Pn+) und aufmerksam(Pn+)).
Die in Abb. 9 gezeigte Punktwolke stellt Alter und „freudig erregt“ in einen engeren Zusammenhang. Ersichtlich ist auch, dass wach(Pn+), durcheinander(Pn−), entschlossen(Pn+) und aufmerksam(Pn+) darin vorkommen, doch nervös(Pn−), begeistert(Pn+) und ängstlich(Pn−) wurden im zweiten Experiment als gleichbleibend erlebt und sind in Abb. 9 nicht vorhanden. Der technische Wert Vertikalkonv[1400 d] ist ausschließlich mit PANAS-Werten der Nachbefragung im Cluster enthalten, die weitgehend der positiven Skala zugeordnet sind, wie auch schon in Abb. 8.
Beim Vergleich von Abb. 9 mit Tab. 4 zeigt sich, dass die technischen Werte mit einer Verringerung der Affekte wach(Pn+), durcheinander(Pn−), entschlossen(Pn+) und aufmerksam(Pn+) einhergehen. Obwohl alle PANAS-Affekte in beiden Experimenten abgefragt worden sind, zeigt ein Vergleich von Abb. 8 und 9, dass einige NMDS-Werte aus Experiment 1 im zweiten Experiment nicht aufgeführt werden. Somit enthält das Cluster aus Experiment 1 im Vergleich mehr Werte als das aus Experiment 2. Beim Vergleich beider Cluster ist auch gut zu erkennen, dass die Cluster sich zwar unterscheiden, jedoch auch, dass mit den technisch bestimmten Kennzahlen zV20a [m] und Vertikalkonv[1400 d] die nach der Parameterermittlung erhobenen PANAS-Werte einen höheren Zusammenhang aufweisen.
Zusammenfassend lässt sich aus dem Vergleich beider Abbildungen schließen, dass die technischen Parameter in diesen beiden Experimenten vorwiegend mit positiven Affekten in stärkerem Zusammenhang standen als mit dem Alter oder mit den Blickerfassungsmessdaten. Um nun Rückschlüsse auf die Frage der Einflussgröße Faktor Mensch zu ziehen, sollen die Ergebnisse im nachfolgenden Kapitel interpretiert werden.

6 Interpretation im Hinblick auf den Faktor Mensch

Aus den Ergebnissen der beiden psychologischen Experimente lassen sich sowohl technische als auch psychologische Erkenntnisse ableiten. Nachfolgend werden die Ergebnisse der beiden psychologischen Experimente im Hinblick auf den Faktor Mensch in der Materialparameterermittlung herausgestellt.
Hervorzuheben ist, dass die individuelle Parameterermittlung basierend auf derselben Datengrundlage zu Bandbreiten in der exemplarisch ausgewählten Zustandsgröße Verschiebung aus Experiment 1 führt, die teils bei einem Faktor von bis zu 2,5 liegen. Aus den technischen Ergebnissen in Experiment 1 nach Abb. 5 ist ersichtlich, dass der Faktor Mensch besonders im Hinblick auf den Monitoringzeitraum relevant ist. Für diesen werden In-situ-Messwerte und numerische Prognosen genutzt, um den sicherheitstechnischen Zustand des Endlagers zu bewerten. Bleibt hier der Faktor Mensch in den numerischen Prognosen unberücksichtigt, können sich daraus Fehlinterpretationen und Fehlentscheidungen ergeben, die sich auf die Langzeitsicherheit des Endlagers auswirken könnten. Die technischen Ergebnisse aus Experiment 2 nach Abb. 6 sind ebenfalls im Hinblick auf die Bewertung der Langzeitsicherheit des Endlagers relevant. Die in unterschiedlicher Größe postulierten Kriechraten wirken sich auch auf die prognostizierte Gefügeschädigung des konturnahen Gebirges und eine daraus resultierende Konturauflockerung der Einlagerungsstrecke aus. Daraus resultieren Umläufigkeiten für Fluide. Daher müssen diese Auflockerungszonen im Bereich von Verschlussbauwerken nachgeschnitten werden, um den Kontakt von Verschlussbauwerk und intaktem Wirtsgestein zu gewährleisten. Wird die räumliche Ausdehnung dieser Auflockerungszone unkorrekt ermittelt und entsprechend zu wenig Wirtsgestein um die Streckenkontur nachgeschnitten, bleiben Umläufigkeiten temporär erhalten. Um diesen planerischen Ungewissheiten zu begegnen, wird ergänzend in der Praxis die Ausdehnung der Auflockerungszone vor Ort beispielsweise durch Permeabilitätsmessungen ermittelt.
Die Ermittlung von menschlichen Faktoren basiert im ersten psychologischen Experiment auf dem PANAS-Fragebogen, dem Lauten Denken und der freien Diskussion. Aus ihnen ist ersichtlich, dass nicht nur in der Herangehensweise Unterschiede bestehen, sondern es wird auch deutlich, welche Informationen für die Versuchspersonen relevant gewesen sind. Die Ergebnisse des PANAS-Fragebogens aus Tab. 2 zeigen, dass lediglich Versuchsperson 4 eine positive Affekttendenz aufweist. Diese positive Affekttendenz hängt möglicherweise mit den vorhandenen Erfahrungen mit dem Stoffmodell zusammen, die bei den anderen drei Versuchspersonen geringer ausgeprägt war und aufgrund dessen möglicherweise zu der negativen Affekttendenz geführt hat. Des Weiteren ist in der Nachbesprechung dieses Experiments besonders deutlich geworden, dass die Versuchspersonen sich weitere Informationen zu den Randbedingungen der Kriechversuche gewünscht haben, da diese Kenntnis Einfluss auf die Gewichtung der einzelnen Datenpunkte in Abb. 3 hätte.
Beim zweiten Experiment geben PANAS-Fragebogen und Blickbewegungsmessung die emotionalen und physiologischen Gegebenheiten des Experiments wieder. Rückblickend sollte jedoch angemerkt werden, dass die Ergebnisse aus Abb. 7 und Tab. 4 für die Versuchsperson 1 und 3 durch eine Sehhilfe beeinflusst sein könnten. Auch die Blickdaten nach Abb. 7 lassen eine Abnahme der allgemeinen emotionalen Belastung bei Versuchsperson 4 vermuten. Ein Blick auf Tab. 4 lässt weiterhin den Schluss zu, dass nach Behebung der technischen Schwierigkeiten ein Routine-Effekt beobachtbar wurde. Dass alle Versuchspersonen sich in ihrem Affekt wach verändert haben, lässt sich auf die Versuchsbedingungen zurückführen, die entweder bei einer Zunahme eine Aktivierung (beispielsweise durch Stolz oder Interesse am weiteren Verfahrensverlauf) oder aber bei einer Verringerung Ermüdungserscheinungen (beispielsweise durch die Versuchsdauer) bedingen. Eine weitere Erkenntnis liefert der Vergleich der Versuchspersonen 1 und 3, die die gleichen Stoffmodelle verwendet haben. Versuchsperson 1 liegt nach Abb. 6 mit einem mathematischen Ansatz in ihrer Parameterermittlung nah an Versuchsperson 3, die einen individuell-optischen Ansatz für die Parameterermittlung wählte. Aufgrund dieser individuellen Ansätze zur Parameterermittlung sowie der menschlichen Einflüsse kommt es bei den Simulationsergebnissen zu einer Abweichung mit einem Faktor von 1,2 nach 1400 Tagen.
Bei der Zusammenführung der Ergebnisse von Experiment 1 und 2 sollte mit der NMDS ein qualitativer Zusammenhang zwischen den kognitiven und den technischen Variablen aufgezeigt werden. Bei der Auswertung verschiedener Konfigurationen der NMDS fiel auf, dass die Alienation-Werte in allen NMDS-Analysen ≥ 0,2 waren, wie in Abb. 8 und 9 exemplarisch dargestellt. Aus dem Experimentvergleich lässt sich dennoch zeigen, dass die Cluster, die die sicherheitsrelevanten Simulationsergebnisse enthalten, mehrheitlich mit den bei der Parameterermittlung erhobenen positiven Affekten (Abb. 8 und 9) in Zusammenhang stehen. Zwar kann angeführt werden, dass dieses Ergebnis aus der geringen Anzahl der Versuchspersonen und den Randbedingungen des Experiments resultieren kann, jedoch lässt es auch den Schluss zu, dass ein qualitativer Zusammenhang zwischen den kognitiven und den technischen Ergebnissen erfasst werden kann.
Hieraus leitet sich für die zukünftige Forschung zu den menschlichen Faktoren unter Anwendung weiterer geeigneterer Methoden der Bedarf einer Anpassung des Forschungsdesigns ab. Abschließend kann festgehalten werden, dass individuelle Simulationsergebnisse auf menschliche Einflüsse zurückgeführt werden können, die dem jeweiligen Modellierer und seiner individuellen Situation und Verfasstheit zuzuordnen sind. Die daraus resultierenden Bandbreiten (Ungewissheiten) in den Prognosedaten können Gegenstand weiterer Forschung sein, zusammen mit der Frage nach dem Umgang mit ihnen und wie diese kommuniziert werden können (vgl. Seidl et al. 2024; Röhlig 2024).
Zu guter Letzt wird betrachtet, welche ersten Rückschlüsse aus dieser Untersuchung zur Bedeutung menschlicher Faktoren für die sichere Entsorgung radioaktiver Abfälle gezogen werden können.

7 Schlussfolgerung und Ausblick

Im Rahmen der exemplarischen Forschungsarbeit zu Auswirkungen des Faktors Mensch in numerischen Simulationen mit vier Versuchspersonen am Beispiel einer Einlagerungsstrecke eines Endlagers für radioaktive Abfälle konnte, mit sehr explorativem Charakter, gezeigt werden, dass bei der Vorgabe gleicher technischer Rahmenbedingungen (Materialdaten, Stoffmodelle, Simulator) ein individueller Einfluss auf die Simulationsergebnisse besteht. In Experiment 1 ergab sich bezogen auf die Zielgröße Vertikalkonvergenz der Streckenfirste ein Faktor von bis zu 2,5 und in Experiment 2 von bis zu 1,2. Somit konnten in beiden Experimenten bearbeiterseitige Bandbreiten in den rechnerischen Ergebnissen aufgezeigt werden. Die auf individuellen Ansätzen und Entscheidungen des jeweilig Modellierenden beruhenden Einflüsse sollten daher bei der sicherheitstechnischen Planung eines Endlagers grundsätzlich erfasst und berücksichtigt werden. Bisher beziehen sich die oben gezeigten Ergebnisse und Schlussfolgerungen lediglich auf die Modellierung von Kriechprozessen und ihre Auswirkungen auf das rechnerisch ermittelte Tragverhalten einer Strecke im Salinargebirge. Aus dem Faktor Mensch resultierende Ungewissheiten können, wie von Eckhardt (2020) vorgeschlagen, nach ihrer Sicherheitsrelevanz, Tragweite, Aussagenqualität oder ihrem Behebungspotenzial klassifiziert werden. Im Zusammenhang mit dieser Klassifizierung sind zukünftig menschliche Faktoren weiter zu beforschen. Somit können die aus menschlichen Faktoren resultierenden Ungewissheiten genauer spezifiziert werden, um bereits im Planungsverfahren von zuständigen Akteuren auf Betreiberseite proaktiv im Rahmen eines eigenen Qualitätssicherungsmanagements minimiert zu werden statt reaktiv erst und nur im Genehmigungsverfahren in dem Diskurs zwischen Antragssteller und Genehmigungsbehörde eingebracht zu werden. Hieraus folgt weiterer Forschungsbedarf im Zusammenhang mit Auswirkungen aus dem Faktor Mensch auf den Planungs- und auch auf den Ausführungsprozess, um diesen Bereich bekannter Ungewissheiten systematisch zu durchleuchten, sie zu identifizieren und ihre möglichen Folgewirkungen zu reduzieren. Zielsetzung ist dabei eine systematische Verbesserung der Prognosezuverlässigkeit, um den Schutz von Mensch und Umwelt möglichst optimal zu gewährleisten.
Dieser Beitrag ist im Rahmen des Vorhabens TRANSENS entstanden, einem Verbundprojekt, in dem 16 Institute bzw. Fachgebiete von neun deutschen und zwei Schweizer Universitäten und Forschungseinrichtungen zusammenarbeiten. Das Vorhaben wird vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages und im Niedersächsischen Vorab der Volkswagenstiftung vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur (MWK) von 2019 bis 2024 gefördert (FKZ 02E11849A-J).
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Literatur
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Metadaten
Titel
Ein erster methodischer Ansatz zur Identifikation von Ungewissheiten bei der individuellen Durchführung der Materialparameterermittlung für numerische Simulationen aus arbeitspsychologischer Sicht
verfasst von
Henriette Muxlhanga
Johann Arne Othmer
Oliver Sträter
Karl-Heinz Lux
Ralf Wolters
Jörg Feierabend
Junqing Sun-Kurczinski
Copyright-Jahr
2024
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-42698-9_14