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03.05.2023 | CSR-Reporting | Interview | Online-Artikel

"Eine Sustainable Corporate Governance ist immer individuell"

verfasst von: Andrea Amerland

6 Min. Lesedauer

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Eine nachhaltige Unternehmensführung muss vielen rechtlichen Anforderungen genügen. Was eine Sustainable Corporate Governance nach deutschem Aktienrecht bedeutet, führen die Juristen Jens Magers und Christina Eschenfelder im Gespräch mit Springer Professional aus.

Neue EU-Rechtsvorschriften sollen die Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen regeln. Welche sind das und welche Unternehmen sind betroffen?

Dr. Christina Eschenfelder: Um das Ziel des EU-Green Deal zu erreichen, das Europa bis 2050 klimaneutral sein soll, wurde eine Vielzahl von Rechtsvorschriften auf den Weg gebracht. Für in der EU ansässige Unternehmen relevant sind die im Dezember 2022 erlassene Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), die EU-Taxonomie-Verordnung sowie die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD), das sogenannte europäische Lieferkettengesetz, dass sich noch im Gesetzgebungsverfahren befindet.

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Jens Magers: Die EU setzt auf das Instrument der Berichterstattung, um Unternehmen zu einer nachhaltigen und sozialgerechten Transformation zu bewegen. Die neuen Normen bedeuten einen Paradigmenwechsel. Von den bislang geltenden Vorgaben in der Nachhaltigkeitsberichterstattung wurden in Deutschland nur wenige hundert Unternehmen erfasst. Sie mussten Schwellenwerte hinsichtlich Nettoumsatzerlöse und Bilanzsumme übersteigen, kapitalmarktorientiert sein und über 500 Arbeitnehmende haben. Das ändert sich ab sofort. Unternehmen müssen erstmals im Jahr 2026 über das Geschäftsjahr 2025 berichten, wenn sie zwei der folgenden drei Kriterien erfüllen: Sie haben mehr als 250 Mitarbeitende, eine Bilanzsumme von über 20 Millionen Euro und/oder Nettoumsatzerlöse von mehr als 40 Millionen. Das Unterscheidungsmerkmal der Kapitalmarktorientierung fällt weg. 

Dr. Christina Eschenfelder: Des Kreis der berichtspflichtigen Unternehmen ist damit signifikant auf 15.000 Unternehmen in Deutschland ausgeweitet worden. Hinzu kommen mittelbar betroffene Unternehmen, die selbst keinen Nachhaltigkeitsbericht abfassen müssen, aber Vertragspartner eines Unternehmens sind, das nach der EU-Taxonomie-Verordnung zur Deklaration der Treibhausgasemissionen entlang der Wertschöpfungskette verpflichtetet ist. Fehlen Strukturen und Prozesse, um diese Daten zu übermitteln oder ist man nicht in der Lage, über die Jahre eine Reduktion der Emissionen nachzuweisen, wird man gegebenenfalls als Vertragspartner durch einen nachhaltigeren Konkurrenten ausgetauscht. 

Was müssen Unternehmen konkret tun, um ihre Sorgfaltspflichten auf diesem Gebiet erfüllen zu können?

Jens Magers: Die Übergangszeiträume sind kurz. Um 2026 über das Geschäftsjahr 2025 berichten zu können, müssen die Prozesse spätestens Ende 2024 stehen. Auch mittelständische Unternehmen sind gut beraten, sich zügig eine Sustainable Corporate Governance zu geben. Konkret bedeutet dies, dass sie die erforderlichen organisatorischen wie rechtlichen Strukturen schaffen und diese in den Gesellschaftsdokumenten wie dem Gesellschaftsvertrag und den Geschäftsordnungen verankern sollten. 

Dabei sind die Rechtsform des betroffenen Unternehmens sowie dessen spezifische Besonderheiten zu berücksichtigen. So entscheidet die Rechtsform etwa darüber, welches Gesellschaftsorgan über all dies zu entscheiden hat. In der GmbH wäre es die Gesellschafterversammlung, wohingegen bei der Aktiengesellschaft der Vorstand die strategischen Entscheidungen autonom treffen kann. Eine Sustainable Corporate Governance ist immer individuell auf das einzelne Unternehmen zuzuschneiden.

Dr. Christina Eschenfelder: Es wurden zudem die Inhalte der künftig zu erstellenden Berichte deutlich verschärft. Die EU-Kommission wird in den kommenden Jahren verpflichtende Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung erlassen. Aus den vorliegenden Entwürfen der European Sustainable Reporting Standards (ESRS) ist erkennbar, dass sehr genau zu berichten sein wird, so auch über die Governance-Strukturen. 

Ferner stellen Nachhaltigkeitsberichte ein wichtiges Unternehmenskommunikationsmittel dar. Unternehmen können damit einmal im Jahr positiv über sich selbst berichten. Dazu müssen sich diese frühzeitig damit auseinandersetzen, was sie über sich schreiben möchten. Betrachtet man den Nachhaltigkeitsbericht als Publikation zu Marketingzwecken, sollten auch nicht berichtspflichtige Unternehmen darüber nachdenken, freiwillig einen zu veröffentlichen. Die Einhaltung expliziter Nachhaltigkeitsstandards wird ohnehin zunehmend von Investoren, Kunden- und Bankenseite gefordert.

Was bedeutet Sustainable Corporate Governance für die Chefetagen in Unternehmen ?

Jens Magers: Die Leitungsorgane spielen eine Schlüsselrolle bei der Einrichtung der Governance-Strukturen, weil sie als Vorstand der AG dazu verpflichtet sind oder als Geschäftsführer einer GmbH von den Gesellschaftern entsprechend instruiert werden. Wie bei allen strategischen Themen mit politischer Relevanz, ist der "Tone from the Top" wichtig, das heißt, die Leitungsorgane müssen neu implementierte Nachhaltigkeitspflichten verkörpern. 

Das erfordert nicht nur das notwendige Know-how, sondern eine intrinsische Auseinandersetzung mit der dahinterstehenden Ratio. Die Leitungsorgane müssen sich fortbilden und für die Entwicklung einer Nachhaltigkeitspolitik und spezifischer Maßnahmen sorgen. Dieses Vorgehen ist auch im Hinblick auf die European Sustainability Reporting Standards empfehlenswert, da im Nachhaltigkeitsbericht dezidiert die Rolle der Leitungs- und Aufsichtsorgan in Nachhaltigkeitsfragen, deren Interaktion und Fachkenntnisse darzustellen sind.

Dr. Christina Eschenfelder: Für den Aufsichtsrat von berichtspflichtigen Aktiengesellschaften konkretisieren sich die Aufgaben, und zwar über die entsprechende Ausweitung der Beratungs-und Prüfungspflichten. Bislang war die Prüfung der Nachhaltigkeitsberichterstattung durch einen externen Prüfer freiwillig, künftig wird sie verpflichtend, da der Nachhaltigkeitsbericht obligatorischer Bestandteil des Lageberichts ist und somit der vollständigen Abschlussprüfung unterliegen wird. 

Der Aufsichtsrat kann sich daher nicht mehr auf die Position zurückziehen, seiner Verantwortung für die Korrektheit der Nachhaltigkeitsberichterstattung nicht nachkommen zu können, weil es ihm an einem sachkundigen Dialogpartner fehle oder er nicht über das notwendige Know-how verfüge. Ihn trifft künftig eine korrelierende umfassende Prüfungspflicht. Noch weitreichender für die Aufgaben von Vorstand und Aufsichtsrat sind im Übrigen die Auswirkungen neuer Regulierungen wie dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz.

Auch Vergütungssysteme sollen auf eine nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft ausgerichtet werden. Was bedeutet das beispielsweise für die Vorstandsvergütung?

Jens Magers: Eine derartige Pflicht existiert nur für börsennotierte Unternehmen. Die Ausweitung auf andere Unternehmen erfolgt lediglich indirekt, da nach den European Sustainability Reporting Standards zukünftig darzulegen ist, ob das Unternehmen derartige Anreizsysteme implementiert hat. Damit entsteht naturgemäß ein gewisser Druck, von solchen Incentives Gebrauch zu machen, da sie immer mehr zum Marktstandard werden dürften. 

Dr. Christina Eschenfelder: Für die von der Pflicht erfassten Unternehmen lässt das Gesetz viel Spielraum. Ein Unternehmen kann sich also aussuchen, ob die Vergütung von der Mitarbeiterzufriedenheit, den Treibhausgasemissionen oder anderen Faktoren abhängt und in welcher Höhe. Die Verknüpfung der Vergütungsstruktur mit Nachhaltigkeitszielen ist, wenn sie gut aufgesetzt ist, eine sehr effektive Möglichkeit, ein Unternehmen auf Nachhaltigkeitsziele auszurichten, weil es das betreffende Leitungsorgan in seinem Handeln einfach unmittelbar motiviert. 

Die rechtliche Verankerung der nachhaltigen Unternehmensführung wirkt auf das Compliance Management. Sie sprechen in diesem Zusammenhang von der neuen Disziplin CSR-Compliance. Was verstehen Sie darunter und wie muss diese ausgestaltet werden?

Jens Magers: Compliance bedeutet, dass ein Unternehmen durch organisatorische Vorkehrungen dafür zu sorgen hat, dass keine Rechtsverstöße begangen werden. Natürlich beziehen sich manche Rechtspflichten - etwa zum Umwelt- und Klimaschutz - auf Aspekte, die man als CSR- und Nachhaltigkeitsthemen bezeichnen kann. Der Schutz anderer Nachhaltigkeitsbelange kann von Unternehmen freiwillig in ihre Compliance-Strukturen wie interne Zuständigkeiten oder Verhaltenskodizes eingearbeitet werden.

Dr. Christina Eschenfelder: Das Verhältnis zwischen Freiwilligkeit und Pflicht ändert sich nun. Der Druck durch den Gesetzgeber, die Belegschaft und Kapitalmarktteilnehmer sowie bestimmte Nachhaltigkeitsbelange in die Compliance-Strukturen aufzunehmen, nimmt zu. Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz geht sogar so weit, konkret vorzuschreiben, welche einzelnen Strukturen ein Unternehmen intern aufzubauen hat. Dazu zählen die Einrichtung eines Risikomanagements und unternehmensinterner Beschwerdeverfahren, Risikoanalysen, die Festlegung von Zuständigkeiten und so weiter.

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