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21.02.2024 | Lieferkettenmanagement | Interview | Online-Artikel

"Firmen streben nach unabhängigen regionalen Liefernetzwerken"

verfasst von: Andrea Amerland

4 Min. Lesedauer

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Beim Lieferkettenmanagement setzen Unternehmen oft auf kurzfristige Maßnahmen für mehr Krisenfestigkeit. Aktuelle Engpässe zeigen aber, warum eine langfristige Prävention für eine resiliente Supply Chain unabdingbar ist, so Experte Knut Alicke.

Springer Professional: Die Lieferketten stehen ständig unter Druck. Welche Ereignisse machen deutschen Unternehmen dabei am meisten zu schaffen?

Knut Alicke: Das Thema steht in vielen Unternehmen weiter oben auf der Agenda. Aktuell müssen sich viele mit den Auswirkungen des niedrigen Wasserstands im Panamakanal sowie dem Konflikt im Roten Meer auseinandersetzen. Aufgrund der extremen Trockenheit ist die maximale Durchfahrt von Schiffen im Panamakanal um 33 Prozent zurückgegangen. Der eingeschränkte Zugang zum Suezkanal zwingt Unternehmen dazu, den Schiffsverkehr über das Kap der Guten Hoffnung umzuleiten. Die Transportzeiten verlängern sich um etwa zwei Wochen - mit entsprechenden Kostensteigerungen auch für Treibstoff und Lebensmittelversorgung. Als Folge der Engpässe stoppten Automobilhersteller ihre Produktion, weil sie die Materialengpässe nicht kompensieren konnten.

Haben die Firmen in der Corona-Krise ihre Hausaufgaben in Sachen Risikomanagement gemacht? Gibt es Verbesserungsbedarf?

Anders als bei der Covid-19-Pandemie, als es einen erheblichen Anstieg der Nachfrage nach Waren gab, verknappt sich jetzt das Angebot. Unabhängig davon, wie die Krise sich gerade ausprägt, sollten Unternehmen nicht nachlassen, durch gezielte Maßnahmen die Widerstandsfähigkeit der Lieferkette zu erhöhen und flexibler werden. Nach der Krise ist immer vor der Krise. Wir befragen regelmäßig Supply Chain Manager und sehen gerade einige Verschiebungen in den Maßnahmen, die Unternehmen ergreifen. 

Zwar sind die nach wie vor beliebtesten Strategien eher kurzfristiger Natur. So verstärken 78 Prozent den Puffer in der Vorratshaltung und setzen bei ihrer Beschaffung kritischer Rohstoffe nun auf mehrere Lieferanten. Gleichzeitig wächst der Trend zur Regionalisierung stark auf 64 Prozent, gegenüber 44 Prozent zuvor. Das Streben nach unabhängigen regionalen Liefernetzwerken ist in Europa und Südostasien am deutlichsten ausgeprägt. Und schon 79 Prozent der Befragten haben Dashboards für die End-to-End-Transparenz implementiert. Das Augenmerk hat sich also auf die Verbesserung der Planungsprozesse entlang der gesamten Lieferkette verlagert.

Wie stark beeinflusst der Fachkräftemangel die Resilienz der Lieferketten?

Die Talentknappheit macht den Führungskräften in der Lieferkette das Leben häufig schwer. Nur acht Prozent der Teilnehmer unserer Umfrage verfügen über genügend interne qualifizierte Mitarbeitende. In den letzten drei Jahren ist zudem der Anteil der Unternehmen, die interne Weiterbildungsprogramme für die Lieferkettenfunktion durchführen, um 27 Prozentpunkte gesunken. Unterdessen ist die Abhängigkeit von externen Einstellungen um 15 Prozentpunkte gestiegen. Bei der internen Qualifizierung sollten die Unternehmen nachlegen. Zu viel Wissen in den Betrieben ist noch immer erfahrungsbasiert. Das ist das Gegenteil einer planvollen Weiterentwicklung der Führungskräfte und Belegschaft.

Dabei gibt es viele Ansatzpunkte oder Skills, die in Zukunft über die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen mitentscheiden. Dazu gehört das Verständnis für eine End-to-End-Lieferkette und ebenso die Erkenntnis, wie viele Silos es noch im eigenen Unternehmen gibt, etwa bei Einkauf und Sales. Unternehmen müssen Wissen dazu aufbauen, wie Machine Learning nicht nur die Produktion, sondern auch die Lieferkette optimieren kann. Gerade hier müssen alle Beteiligten das Thema verstehen, um zu entscheiden, wo der Einsatz von Machine Learning sinnvoll ist und wo nicht.

Und wie belastet das Lieferkettengesetz das Supply Chain Management in Unternehmen?

Die Transparenz über mehrere Stufen, also bis zum Zulieferer des Zulieferers meines Zulieferers, bleibt für viele Unternehmen eine Herausforderung. Aber der Druck auf Unternehmen, die hier bisher hinterherhinken, steigt deutlich. Das gilt für den 2-Fußabdruck, der auch im Lieferantennetzwerk bei den Scope-3-Emissionen transparent gemacht werden muss, genauso wie für den Wasserverbrauch oder andere ESG-Kriterien. Und auch im Markt gibt es deutliche Verschiebungen: Wenn die Preisunterschiede der Anbieter nicht signifikant sind, wird Transparenz sehr bald zu einem wichtigen Wettbewerbsvorteil. Für viele Zulieferer ist das eine große Chance und macht sie resilienter im Fall einer neuen Krise. Solche KMUs finden bei Großunternehmen jetzt viel eher Gehör als noch vor zwei Jahren.

Wie gelingt es Unternehmen, die gesetzliche Anforderung nach mehr Transparenz in der Beschaffung zu erfüllen? 

Eine Schlüsselrolle hat Technologie. Durch erhöhte Rechenleistungen, Konnektivität mit Sensoren, Internet of Things und Cloud-Technologie werden heute mehr Daten als je zuvor erzeugt und verarbeitet. So können Risiken end-to-end entlang der gesamten Wertschöpfungskette transparent gemacht werden - vom Tier-N-Lieferanten bis zum Kunden. Und die Lieferantensuche kann durch neue KI-Tools massiv beschleunigt werden. Suchwerkzeuge filtern mit großer Geschwindigkeit und Präzision aus einer Datenbank mit Millionen von Lieferanten in nur wenigen Stunden eine Auswahlliste. Mit konventionellen Mitteln dauert es im Durchschnitt etwa drei Monate - für die Suche nach einem einzigen Lieferanten. Unternehmen, die sich von überholten Verfahren verabschieden, können massiv an Effizienz gewinnen. Die digitale Lieferkette setzt für Unternehmen große Möglichkeiten frei. Während die Planungsprozesse besser werden, sinken die Risiken.

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