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Open Access 2024 | OriginalPaper | Buchkapitel

Wicked Financing der Endlagerung: Ungewissheiten, Widersprüche und Herausforderungen

verfasst von : Achim Brunnengräber, Jan Sieveking

Erschienen in: Entscheidungen in die weite Zukunft

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Die finanzielle Verantwortung für die Entsorgung der hochradioaktiven Abfälle in Deutschland ging 2017 von den Betreibern der Atomkraftwerke (AKW) an den Staat über. Die Betreiber, die noch für den Rückbau der AKW verantwortlich sind, transferierten Rückstellungen in Höhe von 24,1 Mrd. EUR in den Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung (KENFO). Der erste deutsche Staatsfonds, der von einer Stiftung des öffentlichen Rechts verwaltet wird, soll die Finanzierung so gewährleisten, dass keine zusätzlichen Kosten auf die Gesellschaft zukommen. Dafür soll die Stiftung die Mittel langfristig sichern und gewinnbringend anlegen. Zugleich hat die Stiftung die politische Aufgabe, bei ihren Investitionen an den Finanzmärkten Nachhaltigkeitskriterien zu berücksichtigen. Die staatliche Aufgabe der nuklearen Entsorgung erfährt damit eine Finanzialisierung: Finanzielle und gesellschaftlich-ökologische Kriterien werden miteinander verknüpft. Damit gehen Ungewissheiten und Widersprüche einher, die sich nur bedingt im Sinne eines gesellschaftlichen Nutzens auflösen lassen, was wir unter dem Begriff wicked financing zusammenfassen. Es bleibt ungewiss, ob das an den Finanzmärkten investierte Kapital bis zum Ende dieses Jahrhunderts und darüber hinaus für die Finanzierung der Endlagerung ausreicht. Es ist widersprüchlich, dass der Staatsfonds mit Demokratie- und Transparenzzielsetzungen kompatibel sein soll und gleichzeitig Aufgaben auch an externe Vermögensverwalter*innen auslagert. Schließlich stehen die Anlagestrategien im Widerspruch zu den Nachhaltigkeitskriterien, denn Investitionen erfolgen auch in Unternehmen der fossil-nuklearen Energiebranche.
Einleitung
Nicht nur vor und während, sondern auch nach der Betriebszeit von Atomkraftwerken (AKW) fallen über Jahrzehnte und Jahrhunderte erhebliche Kosten – sogenannte Ewigkeitskosten – an. Solche Kosten, wie sie infolge des Uranabbaus oder der Entsorgung der hochradioaktiven Abfälle über viele Jahrzehnte hinweg verursacht werden, spiegeln sich in den Bilanzen der Betreiber nicht wider. Menschen werden gesundheitlichen Gefahren ausgesetzt, wie etwa durch giftige Stoffe, die beim Uranabbau anfallen, werden von ihrem Land vertrieben oder in den Uranabbau gezwungen. Ökosysteme werden zerstört und unbewohnbar (Dewar 2019). Viele solcher Formen der Externalisierung von negativen Folgen des AKW-Betriebs, die im globalen Süden (etwa Brasilien, Namibia oder Kasachstan) wie im globalen Norden (USA, Australien oder Kanada) auftreten, lassen sich außerdem kaum beziffern oder in Geldwert ausdrücken; gleichermaßen gilt dies für die permanenten Risiken und damit verbundenen Ängste, die von der Atomenergie ausgehen.
Die Finanzplanung konzentriert sich dessen ungeachtet vor allem auf die Forschungs- und Entwicklungsbedarfe oder die konkreten Struktur- und Bauvorhaben. Schon bei konventionellen Kraftwerken treten dabei erhebliche Ungewissheiten auf, noch größer sind sie, wenn die Kosten für den möglichst sicheren Einschluss der Hinterlassenschaften aus dem jahrzehntelangen Betrieb von AKW kalkuliert werden sollen. Dabei tritt ein klassisches Planungsparadox auf: der Finanzbedarf soll möglichst realistisch ermittelt werden, wenngleich über die zukünftigen Rahmenbedingungen der Entsorgung, die bis weit ins nächste Jahrhundert andauern wird, keine belastbaren Aussagen getroffen werden können. Schon innerhalb von Jahrzehnten können sich gesellschaftliche Strukturen und Kulturen, staatliche Ordnungen und Grenzen oder Technologien und deren Nutzen erheblich wandeln. Diskontinuitäten sind eher die Regel als die Ausnahme.
Unterschiedliche Annahmen und Zukunftsvorstellungen erklären, weshalb es unter den Atomstrom erzeugenden Staaten keine einheitliche Vorgehensweise gibt, wie und in welcher Höhe die Mittel der Entsorgung aufgebracht und langfristig gesichert werden. Es können etwa die AKW-Betreiber oder die Steuerzahler*innen in die Pflicht genommen werden; die Höhe kann möglichst konkret entlang eines bestimmten anvisierten Entsorgungspfades oder mit einem hohen Risikoaufschlag festgelegt werden. Unterschiedlich ist schon, wie der Atomabfall bezeichnet wird: als schwach-, mittel- und hochradioaktive Atomabfälle (nach Klassifizierung der International Atomic Energy Agency, IAEA) oder als Wärme entwickelnde oder keine Wärme entwickelnde Abfälle (wie sie etwa in Deutschland neben der IAEA-Definition bezeichnet werden). Das ist nicht unerheblich: aus der Klassifizierung leiten sich unterschiedliche Entsorgungskonzepte und folglich unterschiedliche Kostenrechnungen ab. Aber nicht nur deshalb sorgt ein Blick in andere Länder kaum für eine bessere Planungsgrundlage.
Weltweit ist noch kein Endlager in Betrieb, das hochradioaktive Abfälle aus AKW aufnehmen könnte. Vorhaben in Finnland (Eurajoki) oder Frankreich (Bure) werden oft angeführt, um die grundsätzliche Machbarkeit einer tiefengeologischen Lagerung zu belegen (JRC 2021; kritisch hierzu BASE 2021). Doch die gesellschaftlichen, politischen und geologischen Ausgangsbedingungen sind hier sehr unterschiedlich, was eine Übertragung auf andere Länder erschwert oder gar unmöglich macht. In wenigen Ländern wurde ein Standort bestimmt, wie etwa in der Schweiz (Nördlich Lägern) oder Schweden (Östhammar). In vielen anderen Ländern hat die Suche danach noch nicht begonnen. Somit fehlt ein Referenzprojekt für die Kostenkalkulation. Überall sind hingegen die Ungewissheiten über den Finanzbedarf schon wegen der langen Zeitachsen groß.
Die Schweiz etwa plant, dass das Endlager nach der Einlagerung der Atomabfälle im Jahr 2125 verschlossen werden soll. Auch in Deutschland muss die Entsorgung finanziell weit über dieses Jahrhundert hinaus gewährleistet werden und die Mittel dafür müssen bereitstehen. Vom AKW-Rückbau und der Langzeitzwischenlagerung, der obertägigen und tiefengeologischen Erkundung der Standortregionen und der Entwicklung der Behälter bis zur Standortentscheidung, der Fertigstellung des Lagers, der Inbetriebnahme und der Einlagerung sowie während des Monitorings fallen laufend Kosten an. Dass sich Langfristvorhaben schon über kürzere Zeitachsen hinweg immer wieder mit dem Planungsparadox konfrontiert sehen, zeigen andere große Infrastrukturprojekte. Die Kostensteigerungen lassen sich dabei nicht nur mit Pionierrisiken erklären, auch Projekte, zu denen umfangreiche Erfahrungen vorliegen wie Flughäfen, Straßenbauprojekte oder Bahnhöfe werden oftmals um ein Vielfaches teurer als geplant (Kostka und Anzinger 2015; Flyvbjerg und Gardner 2023). Die Entsorgung stellt dabei nicht nur zeitlich weit darüber hinausreichende Anforderungen, auch die Gefährlichkeit der hochradioaktiven Abfälle und die damit verbundenen Anforderungen an die Sicherheit machen diese zu einem Sonderfall.
Eine erste Neujustierung des Zeitplans war daher keine Überraschung. Im Standortauswahlgesetz aus dem Jahr 2017 wurde als Orientierung das Jahr 2031 genannt, bis zu dem ein finaler Endlagerstandort feststehen sollte. Der Bau des Endlagers sollte demzufolge bis 2050 und die Einlagerung der hochradioaktiven Atomabfälle bis 2090 erfolgt sein. Auch die Möglichkeiten der Rückholung (während des Betriebs des Endlagers), die Bergung der Abfälle (nach dem Verschluss) und das Monitoring des Lagers (über einen noch festzulegenden Zeitraum) gehören zum gesetzlich geregelten Entsorgungsplan (StandAG 2017; Brunnengräber 2021). Ende 2022 hat die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) allerdings bekannt gegeben, dass dieser Zeitplan nicht mehr einzuhalten ist, weil unter anderem die Eingrenzung der Standortregionen zur übertägigen Erkundung mehr Zeit in Anspruch nehmen wird (BGE 2022). Das hat unmittelbare Auswirkungen auf die Finanzierung, denn nicht nur die Langzeitzwischenlagerung der hochradioaktiven Abfälle, die durch die zeitliche Streckung erforderlich wird, wird teurer; inflationsbedingt auch die Behälter, der Bau des Endlagers und der Einlagerungsprozess selbst.
Ziel dieses Beitrags ist es, den gesellschaftlichen Umgang mit möglichen Zukünften bei der Finanzierung und langfristigen Sicherstellung der Finanzmittel für die Entsorgung kritisch zu diskutieren und den damit verbundenen Komplex an Ungewissheiten und Widersprüchen zu erfassen. Unter Ungewissheiten verstehen wir dabei Nichtwissen, das durch Prognosen in Handlungsorientierungen überführt wird, mangelndes Wissen, das Entscheidungen nahelegt, aber nicht eindeutig begründet sowie den politischen Dissens über mögliche Zukünfte – hier der Finanzmärkte –, die zu unterschiedlichen Strategien führen können. Die Widersprüche ergeben sich aus politisch-normativen Prinzipien für die Investments auf der einen sowie den Eigenlogiken der Finanzmärkte auf der anderen Seite. Beides lässt sich, wie wir zeigen werden, nicht ohne weiteres in Einklang bringen.
Konkret gehen wir auf den Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung (KENFO) ein, der auch ‚Entsorgungsfonds‘ oder ‚Atomfonds‘ genannt wird. Wir fokussieren unsere Analyse auf die Finanzierungsstrategien sowie die Grundsätze und Leitbilder des Fonds (KENFO 2019). Unsere These ist, dass die derzeitige Bereitstellung von Finanzmitteln für die Entsorgung der Atomabfälle in dreifacher Hinsicht von inhärenten Ungewissheiten und Widersprüchen geprägt ist. Diese sind:
1.
Neben den grundsätzlichen Ungewissheiten bei der Bezifferung der langfristig benötigten Mittel auf dem Entsorgungspfad gründet die Anlagestrategie auf ungewissen Einschätzungen hinsichtlich der Zukunft der Finanzmärkte. Sie wurde für ein Jahrhundert an ein stetiges Wachstum und eine erfolgreiche Verzinsung gekoppelt. Die Annahmen, die dieser Strategie zugrunde lagen, wurden bereits kurzfristig von konjunkturellen Entwicklungen und den daraus resultierenden schwer kalkulierbaren Finanzmarktrisiken eingeholt.
 
2.
Die Bereitstellung und Absicherung der Finanzmittel lassen Transparenz sowie demokratische Kontrolle vermissen und stehen damit im Widerspruch zu den Grundprinzipien, die laut Standortauswahlgesetz für das Verfahren der nuklearen Entsorgung gelten (StandAG 2017).
 
3.
Die Investments des KENFO tragen zur Zementierung eines fossilistisch-nuklearen Pfads der Energieversorgung bei. Dies steht im Widerspruch zur Energiewende, die nach dem Ausstieg aus der Nutzung der Atomenergie und der Kohlekraft eine Transformation hin zu erneuerbaren Energien vorsieht.
 
Der Beitrag ist wie folgt aufgebaut: Im ersten Schritt werden wir Überlegungen zum wicked problem der nuklearen Entsorgung darlegen, das Konzept der Finanzialisierung erläutern und beide Konzepte miteinander verzahnen. Im zweiten Schritt erklären wir, wie sich der Kapitalstock, der der Stiftung überantwortet wurde, gebildet hat. Im Dritten gehen wir auf den Staatsfonds ein und behandeln hier in Unterkapiteln drei Dimensionen der Finanzialisierung: 1) die Ungewissheiten durch Abhängigkeiten von den Finanzmärkten, 2) die demokratische Kontrolle und Transparenz und 3) die ökologische Zielsetzung des Fonds. Abschließend legen wir dar, dass die Bereitstellung der finanziellen Mittel für die nukleare Entsorgung mit Ungewissheiten und Widersprüchen verbunden ist, formulieren entsprechende Forschungsbedarfe und einen alternativen Handlungsansatz. Im Resümee kehren wir zur konzeptionellen Rahmung zurück und erklären, inwiefern die dargestellten Dimensionen der Finanzialisierung das komplexe Problem des wicked financing prägen.

1 Wicked Financing und Finanzialisierung

Als wicked problem verstehen wir Probleme, die nie völlig und zufriedenstellend gelöst werden können und bei denen verschiedene Problemdimensionen auf komplexe Weise ineinandergreifen (Brunnengräber 2016). Lösungsansätze zu wicked problems lassen häufig nachgelagert neue wicked problems entstehen, mit denen im Planungsprozess nicht gerechnet wurde. Die Entsorgung selbst lässt sich aufgrund ihrer langen Zeithorizonte, komplexen Akteurskonstellationen samt widerstreitender Interessen, Interdependenzproblemen zwischen Politikfeldern sowie einer Vielzahl an Handlungsebenen als ein solches wicked problem beschreiben (Brunnengräber et al. 2014). So entstehen etwa gesellschaftliche Spannungen daraus, dass ein Endlager das Risiko des Austritts von radioaktiver Strahlung oder chemisch-toxischen Stoffen verringern soll, einer Region aber eine hohe Last durch den Bau des Endlagers und die Einlagerung der Atomabfälle aufbürdet. Unter wicked financing fassen wir in Anlehnung an dieses Verständnis den Komplex an nicht oder nur schwer auflösbaren Ungewissheiten und Widersprüchen zusammen, die sich aus der Notwendigkeit der langfristigen Finanzierung der nuklearen Entsorgung ergeben. Die damit verbundene wickedness wird sich nie ganz auflösen lassen.
Die langfristige Finanzierung ist folglich ein Teil des umfassenderen wicked problem der Entsorgung. Als Bestandteil des Lösungsversuches kann sie zugleich aber auch als ein eigenes wicked problem verstanden werden. Um die charakteristischen Merkmale der Finanzierung der Entsorgung der hochradioaktiven Abfälle sowie des wicked financing identifizieren zu können, greifen wir auf das Konzept der Finanzialisierung zurück. Unter diesem breiten Überbegriff werden in der internationalen politischen Ökonomie neu entstehende Verknüpfungen zwischen Finanzmärkten und Bereichen von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft beschrieben, die zuvor nicht mit ihnen in Verbindung standen.1 Im Sinne der Definition von Schwan et al. fokussieren wir uns auf die Finanzialisierung des Staates, beziehungsweise die Staatsfinanzialisierung (Schwan et al. 2021). Dabei wird der Staat selbst zum Akteur auf den Finanzmärkten und muss seine eigene Politik deshalb den Logiken der Finanzmärkte anpassen. Auf dem Entsorgungspfad zeigt sich die Finanzialisierung in mindestens dreifacher Hinsicht:
a)
Erstmals wurde ein staatlicher Fonds in Deutschland eingerichtet. Erfolg und Misserfolg ausgelagerter Investmentstrategien an den Finanzmärkten werden zu Erfolg und Misserfolg eines politischen Projektes.
 
b)
Finanzexpert*innen haben – quasi im Gegenzug – Macht über staatliche Politik. Sie entscheiden ohne ausreichende demokratische Kontrolle über die Investition und Anlagestrategien.
 
c)
Die gehandelten Finanzprodukte stehen in Wechselwirkung mit anderen politischen Zielen. Sie können deren Erreichung behindern oder befördern, je nachdem, welche Investments getätigt sowie welche Ziele anvisiert werden.
 
In diesem Beitrag werden wir diese drei sich teilweise auch überschneidenden Dimensionen der Finanzialisierung der nuklearen Entsorgung vor dem Hintergrund der oben genannten Ungewissheiten und Widersprüche genauer betrachten. Zunächst beschäftigen wir uns mit den Ungewissheiten, die sich gerade auf lange Sicht aus der Notwendigkeit der Erwirtschaftung von Renditen bis ins nächste Jahrhundert ergeben. Bevor wir dies vertiefend behandeln, wollen wir darstellen, wie es in Deutschland zu der Aufteilung der Verantwortung für die nukleare Entsorgung zwischen der Privatwirtschaft und dem Staat gekommen ist und welche Konsequenzen diese Aufteilung für die Verwaltung der Finanzmittel hat.

2 Die Rückstellungen der AKW-Betreiber

Jahrzehntelang bestand in Deutschland ein staatlich-industrieller Atomkomplex, in dem der Staat die Entstehung der Nuklearindustrie massiv förderte – durch Risikobeteiligungen an AKW, staatliche Subventionen, die milliardenschwere Förderung wissenschaftlicher Großforschungszentren und wirtschaftsfreundliche Regelungen hinsichtlich des Umgangs mit den Abfällen. In der langen Phase dieser Liaison wurde der Widerspruch zwischen der Erzeugung und der ungeklärten Frage nach der möglichst sicheren Einlagerung der Abfälle nicht aufgelöst; vielmehr kamen stetig neue Probleme hinzu (Brunnengräber und Mez 2016). Dabei waren die Verantwortlichkeiten klar geregelt. Für die AKW-betreibenden Elektrizitätsversorgungsunternehmen (EVU) galt das Verursacherprinzip. Sie mussten zumindest theoretisch unbegrenzt für Folgen haften (§ 31 Abs. 1 AtG) und Rückstellungen für die Stilllegung, den Rückbau und die Entsorgung bilden, was sie entsprechend der staatlichen Vorgaben auch getan haben. Eine Besonderheit dabei war, dass diese Rückstellungen bei den Betreibern verblieben, steuerliche Vorteile mit sich brachten und gewinnbringend angelegt oder investiert werden konnten, bis sie für die entsprechenden Maßnahmen aufgewendet werden sollten. In anderen Ländern zahlen die Betreiber jährlich Geld direkt in einen Fonds ein; die Gelder werden somit dem Zugriff durch die Betreiber entzogen (Schulz 2016, S. 261).
Die Realisierung der eigentlichen Endlagerung hochradioaktiver Abfälle hatte bei den Betreibern auch deshalb nicht die höchste Priorität, weil das Abwarten mit finanziellen Vorteilen verbunden war; die Rückstellungen durften zunächst anderweitig investiert werden. Zusätzlich trug die stark umstrittene Frage, welche Entsorgungslösung die beste ist, kaum zu einem besseren Unternehmensimage bei. In Deutschland war zur Inbetriebnahme eines AKW jedoch der gesetzliche Nachweis für ein Endlager erforderlich. Diese Funktion hatte das Erkundungsbergwerk Gorleben ausgefüllt, das zu generationenübergreifenden gesellschaftlichen Konflikten führte (Ehmke 2022). Ausgewählt wurde der Standort Ende der 1970er aus rein politischen Gründen, nicht auf wissenschaftlicher Grundlage. Rechtlich reichte er für die Inbetriebnahme von neuen AKW dennoch aus. Dass der Standort geologisch ungeeignet ist, worauf viele Expert*innen bereits früh hingewiesen hatten, wurde erst Ende 2020 von der Bundesgesellschaft für Endlagerung offiziell bestätigt (BGE 2020). Die damit verbundenen Kostenkalkulationen und getätigten Ausgaben waren hinfällig; die Standortsuche begann von Neuem. Schon zuvor wurde deutlich, dass sich die Finanzierung der Entsorgung noch zum wicked problem entwickeln würde.
Im Jahr 2014 wurden Pläne der EVU E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW bekannt, ihre Verantwortung und finanzielle Mittel aus ihren Rückstellungen an eine staatliche Stiftung zu übergeben. Das Stiftungsmodell hat viel Kritik nach sich gezogen, unter anderem mit dem Argument, die Konzerne würden sich aus der Verantwortung stehlen (Schulz 2016, S. 261). Das Bundeskabinett hat Ende 2015 eine „Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs“ (KfK) eingesetzt. Die KfK sollte „im Auftrag der Bundesregierung prüfen, wie die Finanzierung von Stilllegung und Rückbau der Kernkraftwerke sowie die Entsorgung der radioaktiven Abfälle so ausgestaltet werden konnte, dass die Unternehmen auch langfristig wirtschaftlich in der Lage sind, ihre Verpflichtungen aus dem Atombereich zu erfüllen“.2 Dieser Aufgabe wurde nur zum Teil nachgekommen. Denn die Betreiber hätten alle zukünftigen – mit großen Ungewissheiten verknüpften – Kosten auf dem Entsorgungspfad tragen müssen, was sie vermeiden wollten. Sie hatten deshalb an einer Stiftungs- oder Fondslösung größtes Interesse.
Diese Interessen und die schwierige wirtschaftliche Situation der Betreiber, die zu lange an ihrem fossil-nuklearen Geschäftsmodell festhielten und die Energiewende unterschätzten (Brunnengräber und Mez 2016), waren folglich die eine Seite der Medaille. Die finanziellen Risiken für den Staat, die sich aus einer Insolvenz der Betreiber und damit dem Zahlungsausfall ergeben hätten, waren die andere. Auf diese Gefahr wurde schon früh und immer wieder in der Geschichte der Atompolitik hingewiesen (Meyer 2012). Letztlich hatten die Betreiber in den Beratungen die bessere Ausgangslage, sie konnten mit dem – zu dieser Zeit nicht ganz unwahrscheinlichen – Szenario des Verlusts der Rückstellungen drohen. In ihrem Bericht fordert die KfK schließlich eine Finanzsicherung, die den Vorstellungen der EVU weit entgegenkam. Die Aufgaben der Zwischen- und Endlagerung und die dafür notwendigen finanziellen Mittel sollten an den Staat übertragen werden. Die Stilllegung, der Rückbau der AKW und die Verpackung des Atomabfalls zur Zwischenlagerung sollten Aufgaben der Betreiber bleiben und von diesen direkt finanziert werden. Die KfK schlug folgende Aufteilung der Rückstellungen vor (KfK 2016):
  • Rückstellungen der Betreiber für Stilllegung und Rückbau: 17,8 Mrd. EUR
  • Rückstellungen der Betreiber für Verpackung, Behälter und Transport: 3,5 Mrd. EUR
  • Fondseinzahlung für (zentrale) Zwischenlagerung, Endlagergebinde etc.: 4,7 Mrd. EUR
  • Fondseinzahlung für Bau, Betrieb und Stilllegung des Endlagers: 12,5 Mrd. EUR
  • Fonds-Risikoaufschlag: 6,1 Mrd. EUR.3
So konkret die Zahlen sind, alle Berechnungsmodelle für die Finanzierung der nuklearen Entsorgung beinhalten ein breites Spektrum an Einschätzungen, Annahmen und Ungewissheiten (Wimmers et al. 2023). Ein von der KfK eingeholtes Gutachten wies 2015 den Bedarf an theoretisch nötigen Rückstellungen zwischen 32,4 Mrd. EUR und 68,9 Mrd. EUR aus, was eine beträchtliche Spannweite darstellt (Wieland-Blöse und Jonas 2015). Die tatsächlich veranschlagten Kosten von rund 44 Mrd. EUR sind im unteren Bereich des von diesem Gutachten ausgewiesenen Spektrums angesiedelt. Die bisherigen Kostenkalkulationen schließen deshalb Kostenexplosionen, die bei anderen großen Bauprojekten üblich sind, nur äußerst bedingt mit ein. Einerseits können das Kalkulationen für ein Jahrhundertprojekt überhaupt nicht leisten. Andererseits sind es immer auch politische Erwägungen, die der Festlegung und Verkündung von Zahlen zugrunde liegen. Mit anderen Worten: Zahlen vermitteln die Vorstellung der Sicherheit und des Faktischen, sie sind – je länger sie in die Zukunft reichen – aber auch Ausdruck von Interessen und Erwartungen an, sowie Vorstellungen von der Zukunft.

3 KENFO – der erste Staatsfonds Deutschlands

Die Vorschläge der KfK wurden 2016 durch ein zehn Artikel umfassendes „Gesetz zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung“ umgesetzt (VkENOG 2017). Um die Mittel zu verwalten, die nicht bei den Betreibern verbleiben, wurde am 16. Juni 2017 der Empfehlung der KfK folgend auch die öffentlich-rechtliche Stiftung in den Räumlichkeiten des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klima (BMWK) gegründet, die den KENFO verwaltet. Als solcher ist er der erste Staatsfonds, der in Deutschland jemals eingerichtet wurde. Zugleich gingen mit dem KENFO jegliche finanziellen Risiken, Kosten und Verantwortlichkeiten der zentralen Zwischen- und Endlagerung an die Gesellschaft über, sie wurden vergemeinschaftet – und werden durch den Fonds nun nach und nach finanzialisiert. Denn die Mittel sollen sowohl mit den Zielsetzungen der Renditeerwirtschaftung als auch denen der Nachhaltigkeit an den Finanzmärkten investiert werden.
Die Zahlungen für die Verpflichtungen der 25 Kernkraftwerke in Deutschland in Höhe von insgesamt 24,1 Mrd. EUR wurden von den EVU RWE, E.ON, EnBW und Vattenfall am 3. Juli 2017 auf die Konten der Stiftung überwiesen.4 Geleitet wird die Stiftung, die den Fonds verwaltet, von einem dreiköpfigen Vorstand. Kontrolliert werden ihre Geschäfte durch ein Kuratorium, das aus Vertreter*innen des BMWK, des Bundesministeriums der Finanzen (BMF), dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) sowie aller Fraktionen des Deutschen Bundestages besteht. Die Erwartung an den Fonds ist, dass er die Rückstellungen der AKW-Betreiber vermehrt, sodass die steigenden Kosten der Entsorgung gedeckt werden können. Der Fonds soll sowohl Aktien und Unternehmensanleihen halten als auch Staatsanleihen und illiquide Vermögenswerte wie Immobilien. Für die Finanzierung der nuklearen Entsorgung transferiert der Fonds jährlich die gebrauchten Finanzmittel an das BMUV.

3.1 Ungewisse Wetten auf die Zukunft

Die Finanzierung der nuklearen Entsorgung beruht auf der Annahme einer langfristig erfolgreichen Renditenerwirtschaftung bzw. Diskontierung. Dabei wird davon ausgegangen, dass die gegenwärtigen Rückstellungen, die in den KENFO übertragen wurden, weitestgehend den Kosten der zentralen Zwischen- und Endlagerung der Atomabfälle entsprechen, wenn sie heute auf einen Schlag realisiert werden würden. Im Rahmen der Kapitalanlage bzw. -verzinsung muss nun sichergestellt werden, dass dieser Gegenwartswert auch noch dem in Zukunft fälligen Betrag entspricht. Die Erwirtschaftung von Kapitalerträgen ist folglich der zentrale Grund für die politische Entscheidung, einen öffentlich-rechtlichen Staatsfonds einzurichten. Die Mittel aus den Rückstellungen der Betreiber für die nukleare Entsorgung in Deutschland sollen so innerhalb dieses Jahrhunderts vervielfacht werden; vor dem Hintergrund des 2015 für 2099 angenommenen Preisniveaus auf insgesamt 169,8 Mrd. EUR.
Gleich zwei relevante Ungewissheiten ergeben sich aus diesem Ziel: Einerseits darf das allgemeine Preisniveau – etwa für zentrale Rohstoffe, die zum Bau der Endlager-Anlage oder der Behälter benötigt werden – nicht über das zugrunde gelegte niedrige Inflationsniveau von jährlich 1,6 % hinaus gehen, um tatsächlich bei einem Bedarf von 169,8 Mrd. EUR anzugelangen. Durch eine stärkere allgemeine Inflation oder durch nuklear-spezifische Preissteigerungen innerhalb der nächsten Jahrzehnte müsste auch das Anlageziel nach oben korrigiert werden. Andererseits ist gleichzeitig und gerade vor dem Hintergrund der langen Zeitspanne auch das konstante Erreichen des 2015 anvisierten Anlageziels nicht automatisch gegeben. Es muss regelmäßig eine Abzinsung von durchschnittlich 4,58 % pro Jahr erreicht werden, um am Ende überhaupt die Zielmarke der Investitionen für die zentrale Zwischen- und Endlagerung zu erreichen. Die Annahmen über die Inflation und die Rendite wurden 2015 auf Grundlage der damaligen wirtschaftlichen Situation für ein Jahrhundert pauschal angenommen (KfK 2016).
In Deutschland wie im internationalen Vergleich wenden viele Länder einen eher optimistischen Abzinsungssatz an. Und nicht alle Länder kalkulieren Kostensteigerungen ein, obwohl die Kosten der Entsorgung wahrscheinlich schneller steigen werden als die allgemeine Inflationsrate (siehe weiter unten den Abschnitt zu den erheblichen Kostensteigerungen beim Bau von konventionellen AKW). Es stellt sich heute bereits die grundsätzliche Frage, ob und wie der KENFO die notwendige erwartete Rendite von circa 3 % pro Jahr nach Abzug der Inflation erwirtschaften soll. Ungewissheiten sind auch bei vermeintlich optimaler Risikoverteilung vorhanden. Zyklisch auftretende Volatilitäten der Finanzmärkte lassen sich im Zeitverlauf nicht immer ausgleichen. Vor allem über lange Zeiträume können Finanzmärkte aber auch kollabieren, wie die Finanzmarktkrise 2008/9 gezeigt hat. Wenn Staatsanleihen und andere risikoarme Investitionen weniger Realzinsen bringen, kann der Anteil von risikoreichen Investments zunehmen, die besonders anfällig sind für dynamische geopolitische Entwicklungen und sich verändernde Sicherheitslagen.
Der Kontrast zwischen den 2016 erhofften Inflations- und Renditeerwartungen auf der einen Seite und der weltweiten, wirtschaftlichen Situation 2023 auf der anderen Seite könnte nun größer kaum sein. Er verdeutlicht die Unvorhersehbarkeit wirtschaftlicher Entwicklungen, von denen Erfolg und Misserfolg des KENFO abhängen. Durch seine große globale Streuung weist der KENFO auch eine große Vulnerabilität für regionale und globale Rezessionen auf. Mit der kriegsbedingten, hohen Inflation von annähernd 8 % in 2022 wurde 2016 nicht gerechnet. Die ‚schwachen‘ Börsen in 2022 haben dem norwegischen – und weltweit größten – Staatsfonds eine negative Rendite von 14 % und somit 152 Mrd Euro an Verlust beschert, womit der Verlust während der Finanzmarktkrise 2008 um mehr als das doppelte übertroffen wurde. Das vom KENFO verkündete Übersteigen von Renditezielen wurde von der Inflation „aufgefressen“. Gleichzeitig verlor der Fonds 2022 12,2 Prozent seines gesamten Kapitals. Das entspricht 3,1 Milliarden Euro. Die globale wirtschaftliche Konjunkturentwicklung in einer nur kurzen Zeitspanne macht bereits deutlich, wie schnell (optimistische) Annahmen obsolet werden können.
Solch langfristige Vergesellschaftungen von Finanzmarktrisiken sind im Bereich der Finanzialisierung von Renten bereits weiter erforscht. Und auch wenn die Vorsorge bei der Alterssicherung neben Fonds auch die Investments von Privathaushalten betrifft, so lässt sich doch ein Vergleich zwischen Pensionsfonds und KENFO ziehen. In beiden Fällen sollen Geldwerte für die mittel- bis langfristige Zukunft gesichert werden. Lueg und Schwark (2019) zeigen im Vergleich mit dem schwedischen Pensionsfonds, wie hochriskant solche Strategien sind. Mertens und Meyer-Eppler (2014) kritisieren grundsätzlich die Finanzialisierung hinsichtlich der Übertragung von Finanzmarktrisiken auf gesellschaftliche Vorsorgemaßnahmen. Finanzmarktrisiken werden auf die Finanzierung von gesellschaftlichen Projekten wie der nuklearen Entsorgung oder der Altersvorsorge übertragen, deren Existenz oder Umsetzung de facto alternativlos ist.
Eigentlich geht es nicht darum, bereitwillig Risiken einzugehen, um potenzielle Gewinne abzuschöpfen, sondern ausschließlich darum, einen Gegenwartswert verlässlich in die Zukunft zu übertragen. Paul Langley (2008) zeichnet historisch nach, inwiefern die makroökonomischen Rahmenbedingungen, die diese Finanzialisierungen alternativlos gemacht haben, politisch kontingent waren: Die Möglichkeit, Finanzmittel gesichert bei einer klassischen Geschäftsbank zu hinterlegen, ohne sie zu entwerten, ist durch negative Realzinsen und die Deregulierung von Finanzmarktinstituten schwierig geworden. Potenziell führt die Herauslösung der finanziellen Verantwortung für die Altersvorsorge aus dem Kollektiv in die Hände von Pensionsfonds oder privaten Anlegern zum Verlust der fraglichen Vermögenswerte (Lapavitsas 2009). Entwicklungen wie eine weltweit an die Finanzmärkte und in Pensionsfonds drängende Mittelschicht, aber auch die weltweite Zunahme großer Staatsfonds, senken die Wahrscheinlichkeit, dass die massiven Renditeerwartungen durch die Realwirtschaft in Zukunft bedient werden können (Mertens und Meyer-Eppler 2014).
Und noch ein weiteres Dilemma zeichnet sich ab: Die Rückstellungen der AKW-Betreiber wurden in einen Staatsfonds eingebracht, der getrennt ist vom Bundeshaushalt und von anderen politisch regulierbaren Finanzströmen. So soll sichergestellt werden, dass die für die Entsorgung notwendigen Mittel auch tatsächlich zweckdienliche Verwendung finden. Damit können die Finanzmittel beispielsweise davor geschützt werden, gekürzt oder umgewidmet zu werden. Gleichzeitig stellt diese Abtrennung von anderen öffentlichen Finanzmitteln selbst auch einen Unsicherheitsfaktor dar, da es entsprechend schwieriger ist, die nötigen Finanzmittel für die nukleare Entsorgung aufzustocken, wenn der eingeschlagene Pfad der Entsorgung dies erforderlich machen sollte. Dann dürften Debatten darüber notwendig werden, ob weitere Steuergelder Verwendung finden, um die anvisierte bestmögliche Sicherheit des Endlagers zu gewährleisten. Diese Ungewissheiten frühzeitig zu kommunizieren, ist einem transparenten und lernenden politischen Verfahren der Standortsuche jedoch angemessener, als vermeintliche Planungssicherheiten, die später immer wieder korrigiert werden müssen.

3.2 Mangelnde Transparenz und Kontrolle

Für die Betrachtung des KENFO lassen sich relevante Erkenntnisse noch aus einem anderen Bereich der Forschung zur Finanzialisierung ableiten. Schwan et al. (2021) analysieren international vergleichend den Trend von staatlichen Finanzmarktinvestitionen sowie die zunehmende Finanzialisierung von Staatsschulden. In der Diskussion ihrer Ergebnisse stellen sie die Überlegung an, dass die zunehmende Rolle des Staates als eigenständiger Akteur an den Finanzmärkten schwerlich mit klassischen Ansprüchen an Transparenz, parlamentarische Kontrolle und demokratische Mitbestimmung kompatibel ist. Dies ist für die Betrachtung der Politik der nuklearen Entsorgung besonders relevant, da sowohl Transparenz als auch demokratische Mitbestimmung laut StandAG Grundprinzipien der Endlagersuche darstellen. Die Autor*innen weisen darauf hin, dass Aktienbeteiligungen von Staaten an Unternehmen nichts Neues sind. Die neue Qualität der Finanzialisierung des Staates besteht eher in der Qualität der Investments, die sich durch die Zielsetzung Risikoverteilung/Diversifizierung und Renditeerwirtschaftung auszeichnet und nicht mehr in der Form gezielter Beteiligungen an einzelnen Konzernen passiert (ein Beispiel ist der Staatseinstieg bei der Lufthansa während der Corona-Pandemie). Diese neue Entwicklung mittelbarer staatlicher Eigentümerschaft gleicht eher der Strategie von privaten institutionellen Investoren wie Investmentfonds. Der Effekt staatlicher Beteiligungen ist in diesem Fall nicht mehr der einer lenkenden Wirkung beziehungsweise einer notwendigen Investition in eine Schlüsselbranche. Stattdessen machen sich der Staat und seine Politik von Dynamiken an den Finanzmärkten abhängig. Erfolg und Misserfolg ausgelagerter Investmentstrategien an den Finanzmärkten werden zu Erfolg und Misserfolg eines politischen Projektes wie der Entsorgung.
Beim KENFO ist zu beobachten, wie sich diese Zielsetzungen institutionell auswirken. Der KENFO ist in seinen Strukturen und seiner Strategie einem privaten Investmentfonds nicht unähnlich. Die Vermögensverwaltung wird unternehmerisch durch eine Geschäftsführung geleitet und wiederum an verschiedene private Vermögensverwalter*innen ausgelagert. Neben einigen wenigen und wenig effektiven Rahmenbedingungen (auf diese wird im kommenden Abschnitt gesondert eingegangen) haben die privaten Vermögensverwalter*innen des KENFO neben der Renditeerwirtschaftung effektiv wenig andere übergeordneten Zielsetzungen – insbesondere kaum verbindliche Nachhaltigkeitsstandards. Eingesetzt werden diese Vermögensverwalter*innen durch die Stiftung des KENFO. Diese wird durch einen Vorstand geleitet, welcher wiederum durch ein Kuratorium aus Bundestagsabgeordneten und Vertreter*innen von Bundesministerien kontrolliert wird. Erst die Mitglieder dieses Kuratoriums sind teilweise mittelbar und teilweise unmittelbar demokratisch legitimiert. Diese gleich zweifache privatwirtschaftlich gestaltete Auslagerung von Investitionsentscheidungen begründet die Sorge vor einem strukturellen Verlust an demokratischer Kontrolle über Investitionsentscheidungen wie sie durch Schwan et al. (2021) geäußert wurde.
Auch die genannte Gefahr eines Mangels an Transparenz, die mit der Finanzialisierung des Staates einhergeht, lässt sich anhand der Politik des KENFO substanziieren. So veröffentlichte die Stiftung zunächst auch auf Nachfrage nicht, in welche Unternehmen oder Staaten er konkret investiert. Im Februar 2022 forderte ein Nutzer des Onlineportals „Frag den Staat“ den Staatsfonds auf, seine Investments öffentlich zu machen. Die daraus resultierende Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz zwang die Stiftung dazu, eine Liste mit Investments zu veröffentlichen.5 Nun soll zumindest jährlich dargestellt werden, welche Staatsanleihen, Unternehmensanteile oder sonstige Anlagen der Fonds hält. Nichtsdestotrotz sind diese Auskünfte nicht immer aufschlussreich. So investiert der Fonds beispielsweise einen vergleichsweisen großen Anteil seiner Mittel in Produkte des Vermögensverwalters BlackRock, die wiederum entsprechend aufgeschlüsselt werden müssten. Durch die doppelte Mittelbarkeit der Investments – zunächst die Auslagerung in den KENFO und von dort weiter zu selbstständigen Vermögensverwalter*innen – werden staatliche Beteiligungen und die Rolle des Staates als Eigentümer von Unternehmensanteilen entpolitisiert. Forschungsarbeiten zur Finanzialisierung des Staates legen grundsätzlich nahe, dass der Finanzmarktbasierung wichtiger politischer und gesellschaftlicher Projekte die Tendenz zu einem Mangel an demokratischer Kontrolle und Transparenz inhärent ist (Heires und Nölke 2014; Levitt 2020). Die Wichtigkeit von Transparenz und demokratischer Kontrolle bei Investitionsentscheidungen zeigt sich insbesondere auch im Umgang mit den Nachhaltigkeitskriterien.

3.3 Im Widerspruch zur Nachhaltigkeit

Die Nachhaltigkeitskriterien des Fonds (ESG-Kriterien) sind in ihrer normativen Orientierung umfassend und klingen recht ambitioniert (KENFO 2019). Anvisiert wird die Einhaltung von Menschenrechten und internationalen Arbeitsnormen, die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards, der Schutz der Umwelt, die Bekämpfung von Korruption oder eine gute Unternehmensführung. Die Investitionen sollen sich auch am Übereinkommen von Paris orientieren, laut dem die globale Erwärmung auf unter 2 Grad – besser 1,5 Grad – gegenüber der vorindustriellen Zeit begrenzt werden soll. Bis spätestens 2050 soll das Portfolio des KENFO klimaneutral sein. Die Stiftung ist zudem der von den Vereinten Nationen (UN) einberufenen internationalen Investoreninitiative zum Klimaschutz, der UN-convened Net-Zero Asset Owner Alliance, beigetreten, die sich zu den Pariser Klimazielen bekennt.6
Konkret werden für Investments drei Vorgaben gemacht.7 Der Fonds soll zunächst nur in die nachhaltigsten 75 % der Unternehmen einer Branche investieren. In das am wenigsten nachhaltige Viertel der Unternehmen einer Branche darf der Fonds allerdings auch investieren, unter der Voraussetzung, dass diese „Fortschritte im Bereich der Nachhaltigkeit zeigen“. Ausgeschlossen sind Unternehmen, die „schwerwiegende Verstöße gegen die Prinzipien des UN Global Compact begangen haben oder von der Initiative UN Global Compact von vorneherein ausgeschlossen sind“. Ein weiteres Ausschlusskriterium ist der Betrieb von AKW, allerdings nur dann, wenn das Geschäft mit Atomenergie mehr als 5 % des Umsatzes ausmacht.8
Der KENFO hat anfangs Optimismus verbreitet, dass das Geld in diesem Sinne gut angelegt wird. Mittlerweile vermehren sich die Hinweise, dass die Anlagestrategien und Investmentpraktiken des KENFO konkret wenig anspruchsvoll und ineffektiv sind. Das Potenzial der Kriterien, eine nachhaltige Anlagestrategie zu incentivieren, scheint in der Praxis aufgrund eines Mangels an verbindlichen Vorgaben begrenzt. Eine Differenzierung zwischen umweltfreundlichen und umweltschädlichen Branchen erfolgt nicht. Innerhalb von Branchen ist ein Investment in den größten Teil der Unternehmen pauschal möglich, wobei auch für die am wenigsten nachhaltige Kategorie an Unternehmen einer jeden Branche trotzdem einfach nutzbare Ausnahmen existieren. Auch das Ausschlusskriterium für AKW-Betreiber ist eng gefasst und nicht auf die gesamte Atombranche anwendbar. Die 5 %- Regel hätte in Deutschland theoretisch nicht einmal den größten ehemaligen Kraftwerksbetreiber E.ON ausschließen können (E.ON 2022). Hinzu kommt, dass sich die Assetmanager, an die die Stiftung die Vermögensverwaltung auslagert, eigenständig Ratingagenturen aussuchen dürfen, die die entsprechenden Nachhaltigkeitsklassifizierungen uneinheitlich vornehmen. Ein zentraler, einheitlicher Abgleich mit den Leitprinzipien des KENFO ist somit schwer möglich.
In der Öffentlichkeit werden die Investments und das weit entfernte Ziel der Klimaneutralität 2050 des KENFO kontrovers diskutiert.9 Nach einer Berechnung des WDR hat der Fonds 2020 trotzdem 757,9 Mio. EUR, 3,2 % der Anlagen, in Öl- und Gasunternehmen investiert.10 Vorstandsvorsitzende Anja Mikus hält Investitionen in Unternehmen mit einem signifikanten CO2-Ausstoß für transformationsfördernder als Investitionen in erneuerbare Energien.11 Mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine wurde der KENFO auch wegen der Beteiligung an russischen Finanz- und Energieunternehmen kritisiert; etwa wegen der Investitionen in den russischen Ölkonzern Lukoil oder die Sberbank. Solche Beteiligungen sind in der Investmentbranche, die sich der Nachhaltigkeit oder den Klimazielen von Paris verschrieben haben, kaum die Ausnahme. Deutschlands größter Fondsgesellschaft DWS, eine Tochter der Deutschen Bank, wird von der Bürgerbewegung Finanzwende und von Greenpeace „Greenwashing“ vorgeworfen. Die grünen Werbeversprechen seien aufgrund der Investments in Kohle, Erdgas und Öl unhaltbar.12
Solche Investments wie sie auch im KENFO zu finden sind, offenbaren eine wichtige Dimension des wicked financing. Eine finanzmarktbasierte Strategie, die die Mittel für die nukleare Entsorgung zu vermehren versucht bei gleichzeitiger Ausrichtung am Klimaschutz, beinhaltet Zielkonflikte. Der Renditedruck auf die Investitionen wirkt sich negativ auf Nachhaltigkeitsziele aus. Einerseits soll die größtmögliche Rendite kommerzieller Investments die finanzielle Absicherung der nuklearen Entsorgung gewährleisten. Andererseits leisten sie entgegen anders lautender Versprechungen keinen umfassenden Beitrag zu einer sozialökologischen Transformation, wie es der Auftrag des KENFO ist und in der Anlagerichtlinie auch entsprechend formuliert wird. Die Gefahr ist dagegen groß, dass der KENFO durch Investitionen in nukleare, fossil und andere klimaschädliche Industrien in den folgenden Jahrzehnten dazu beiträgt, dass nicht-nachhaltige Pfadabhängigkeiten zementiert werden.

4 Ungewissheiten über Kosten

Die Perspektive der Finanzialisierung der nuklearen Entsorgung hat gezeigt, dass Ungewissheiten hinsichtlich der langfristigen Sicherung der Finanzmittel für die nukleare Entsorgung, Widersprüche zu den Nachhaltigkeitszielen der Energiewende sowie den Grundprinzipien der nuklearen Entsorgung in Deutschland existieren. Ungewissheiten existieren allerdings nicht nur auf der Seite der Bereitstellung der nötigen Finanzmittel für die Entsorgung, sondern auch, wenn es um die Prognose der Bedarfe geht. Die Diskussionen im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung in der Standortauswahl für ein Endlager sowie der Fachdiskurs, der sie speist, machen deutlich, wie viele Unbekannte den Entsorgungspfad derzeit prägen. Die erforderlichen Schritte vom Rückbau bis zur Endlagerung des Atommülls sind längst noch nicht alle bekannt. Ein Modellvorhaben, das für alle Länder herangezogen werden könnte, liegt aufgrund unterschiedlicher politischer Systeme, gesellschaftlicher Kultluren und geologischer Bedingungen nicht vor. Die Bestimmung der Höhe der erforderlichen Finanzmittel hängt auch davon ab, welche Verfahrensschritte mit einbezogen werden (für eine „Gesamtbewertung des Systems Atomkraft“ siehe etwa Wimmers et al. 2023).
Die Europäische Union (EU), die Nuclear Energy Agency (NEA) der Organisation for Economic Development and Cooperation (OECD) und die International Atomic Energy Agency (IAEA) benötigten über zehn Jahre, um eine Liste der Kostenfaktoren allein bei der Stilllegung von AKW zu erarbeiten. Zehn Jahre später wurde sie aktualisiert. Der OECD-Bericht „International Structure for Decommissioning Costing (ISDC) of Nuclear Installations“ enthält zehn Kategorien mit Unterpunkten, die sich nun auch auf die Zwischen- und Endlagerung der radioaktiven Abfälle beziehen (OECD 2012). Dennoch existieren pro Kraftwerk oder Megawatt installierter Leistung sehr unterschiedliche Kostenkalkulationen zwischen Ländern. Unberücksichtigt bleiben auf dem Entsorgungspfad in Deutschland darüber hinaus die gesundheitlichen wie ökologischen Schädigungen durch den Uranabbau oder die Wiederaufbereitung. Eine Debatte über mögliche Entschädigungszahlungen im globalen Süden wie im globalen Norden findet nicht statt. Das Jahrhundertprojekt der Endlagerung richtet sich vor allem nach vorne (Brunnengräber 2017).
Der technische Rückbau der noch vorhandenen AKW soll 20, 30 oder noch mehr Jahre in Anspruch nehmen. Das AKW in Rheinsberg sollte in 20 Jahren zur grünen Wiese rückgebaut werden, mittlerweile wird von mehr als 40 Jahren ausgegangen. Die Ungewissheiten bei der Kostenabschätzung sind demzufolge groß. Ob AKW, Fabriken zur Herstellung von Brennstäben, Wiederaufbereitungsanlagen, obertägige Entsorgungseinrichtungen und untertägige Endlagerbergwerke für schwach- oder mittelradioaktive Abfälle, sie alle haben zwei Dinge gemeinsam: sie werden selten entsprechend des Zeitplans fertig gestellt, verteuern sich im Laufe der Bauphase erheblich und widerlegen somit die lange Zeit vorherrschende Auffassung, dass Atomstrom günstig hergestellt werden kann (Haas et al. 2019). Auch ein Blick auf gegenwärtige großnukleare Bauprojekte etwa in Finnland, Großbritannien oder Frankreich zeigt, dass die Kalkulationen permanent nach oben korrigiert werden müssen. In Finnland (Olkiluoto 3), Frankreich (Flamanville) und Großbritannien (Hinkley Point C) hinkt die Fertigstellung dem Zeitplan um viele Jahre hinterher, die Kostenpläne sind bereits von niedrigen einstelligen auf zweistellige Milliardenbeträge korrigiert worden (Haas et al. 2019, S. 111).
Beim Rückbau ist das nicht anders. Obwohl die Genehmigungsprozesse, die Techniken und die Abläufe hin zur grünen Wiese bis zu einem gewissen Grad bereits erprobt sind, fallen die Bedarfsberechnungen sehr unterschiedlich aus. Scherwath et al. (2019) identifizieren erhebliche Kostenungewissheiten bei dem Rückbau deutscher AKW, obwohl die Kostenabschätzungen hier regelmäßig aktualisiert werden. Sie zweifeln an der Zuverlässigkeit offizieller Prognosen. Daraus wird bereits deutlich, dass auch die Gesamtkosten der nuklearen Entsorgung stets nur eine Annäherung sein können. Die Kosten exakt zu beziffern ist – aus vorhersehbaren aber auch aus unvorhersehbaren Gründen – nicht möglich. Oder anders formuliert: Wenn schon die Ungewissheiten bei heutigen AKW-Neubauten beziehungsweise ihren Rückbauten groß sind, dürften sie bei der Endlagerung noch größer sein. Denn anders als beim Neu- und Rückbau fehlt hier sowohl der Erfahrungshintergrund als auch ein konkretes Entsorgungskonzept.
Beim Endlager greifen große Strukturmaßnahmen, technische Artefakte, gesellschaftspolitische Belange, ökonomische Aspekte oder sicherheitsrelevante Fragen auf noch komplexere Weise ineinander als bei anderen Nuklearbauten. Schon theoretische Überlegungen dazu zeigen, welche Herausforderung damit verbunden sind. Das Endlager soll die bestmögliche Sicherheit vor der Freisetzung ionisierender Strahlung und chemotoxischer Stoffe für mindestens eine Million Jahre bieten. Welche konkreten Sicherheitskonzepte werden benötigt? Wird der Schutz durch Technik oder die Geologie erreicht? Wie viel darf die Sicherheit dabei kosten? Wie sollen überhaupt Kostenschätzungen erfolgen, wenn weder das Wirtsgestein feststeht, in dem ein Tiefenlager gebaut werden könnte, noch ein Endlagerkonzept, in dem etwa festgelegt wird, ob der Atommüll per Schacht oder per befahrbarer Rampe in die Tiefe verbracht werden kann? Was kostet die Rückholbarkeit bis zum Verschluss des Bergwerks oder die Bergbarkeit danach? Werden Rücksprünge mitberechnet, wenn sich ein eingeschlagener Entsorgungspfad als falsch erweist? Welches Monitoringkonzept wird umgesetzt oder wird darauf verzichtet? Welche Kosten fallen für die Endlager-Governance an, das heißt für die staatlichen Behörden, die Durchführungsorganisationen, wissenschaftliche Forschungseinrichtungen und die Öffentlichkeitsbeteiligung? Ist eine Kompensation vorgesehen? Wenn ja, in welcher Höhe wird diese geleistet, damit umliegende Gemeinden oder eine Region bereit sind, ein Endlager zu akzeptieren?
Es kann mit einiger Sicherheit gesagt werden, dass Berechnungen, die auf einer hohen Plausibilität beruhen und realitätsnah sind, kaum vorgenommen werden können oder mit großen Ungewissheiten verbunden sind. Sie können nur eine Orientierung bieten. In der Schweiz muss anders als in Deutschland nicht nur das Entsorgungsprogramm regelmäßig aktualisiert werden, sondern auch die Schätzung der Entsorgungskosten. Die Kostenschätzungen werden unabhängig geprüft und beinhalten Zuschläge für Prognoseungenauigkeiten und Gefahren.13 In Deutschland dagegen spielt das Thema der Ungewissheiten in Bedarfen und die Frage der Adäquatheit der Bereitstellung von nötigen Finanzmitteln eine untergeordnete Rolle. Diese Frage bleibt auch aufgrund der Übertragung der Verantwortung für die Endlagerung von Atomkonzernen an den Staat ein politisch heikles Thema, denn wenn sich Kostenschätzungen verändern sollten, würde auch die Legitimität dieser Vereinbarung in der Öffentlichkeit beeinträchtigt werden – es könnte zu einer Nachhaftung durch die Steuerzahler*innen kommen. Wenn aber die Suche eines Standorts und die Errichtung eines Endlagers den Grundprinzipien der Standortauswahl wie Transparenz und insbesondere Sicherheit in einem weiteren Sinne gerecht werden möchte, gilt es über die Ungewissheiten und Widersprüche – also über wicked financing – zu sprechen.

5 Resümee und Ausblick

Das Atomzeitalter in Deutschland reicht bis in die 1950er Jahre zurück. Seither fallen Ewigkeitskosten für den Betrieb von AKW und die Stromerzeugung an, die externalisiert oder in Rückstellungen überführt wurden. Mit der Übertragung der Mittel an den KENFO hat sich Deutschland nun an die international übliche Vorgehensweise angepasst. In den meisten Ländern, in denen AKW am Netz oder stillgelegt sind, wird der Betreiber eines AKW nicht für Probleme, die während der langfristigen Lagerung der Abfälle auftreten, finanziell haftbar gemacht; und auch um die Entsorgung muss er sich nicht kümmern. In letzter Instanz muss der Staat die Endlagerung nicht nur organisieren, sondern auch finanziell absichern und die damit verbundenen finanziellen Risiken tragen. Die langfristigen Aufgaben und Kosten werden vergemeinschaftet und zu einem Mehr-Generationen-Projekt.
Vor diesem Hintergrund wurde herausgearbeitet, dass wicked financing ein Bestandteil des wicked problems der Endlagerung ist. Die wickedness besteht insbesondere aus den Ungewissheiten und den Widersprüchen, die direkt mit der Finanzialisierung, also der Finanzmarktbasierung der nuklearen Entsorgung, zusammenhängen. Unsere dreiteilige These, eine zu den Ungewissheiten und zwei zu den Widersprüchen, konnten wir bestätigen. Wir konnten herausarbeiten, dass die Prognosen hinsichtlich der Verzinsung der finanziellen Mittel äußerst optimistisch sind und mit den realen konjunkturellen wirtschaftlichen Entwicklungen nicht im Einklang stehen. Weiterhin haben wir dargestellt, wie die privatwirtschaftliche Ausgestaltung des Fonds nicht auf demokratische Kontrolle und Transparenz ausgelegt ist, obwohl dies laut Gesetz zu den Grundprinzipien der Standortauswahl und der Endlagerung der hochradioaktiven Abfälle gehört.
Durch die strukturellen Defizite wie der fehlenden demokratischen Kontrolle und Transparenz lässt sich wiederum erklären, warum die Stiftung bisher Nachhaltigkeitsziele vernachlässigen konnte. Erst auf gesellschaftlichen Druck hin veröffentlicht die Stiftung ihre Investments. Der Widerspruch zwischen der Sicherung der Finanzmittel und dem übergeordneten Ziel der nuklearen Entsorgung auf der einen sowie die Ausrichtung an Nachhaltigkeitskriterien und der Unterstützung der Energiewende auf der anderen Seite, wurde herausgearbeitet. Mit ihren Investitionen in fossile Energieträger und andere klimaschädliche Industrien gefährdet die Stiftung entgegen ihrer Selbstzuschreibungen die Klimaziele, die sich Deutschland gesetzt hat.
An der Nutzung eines Fonds zur möglichst guten Absicherung der Entsorgungsfinanzierung führt derzeit wohl kein Weg vorbei. Die politischen und investitionspraktischen Probleme des KENFO und die damit einhergehenden Widersprüche, so hat unsere Analyse gezeigt, müssen jedoch stärker in den Fokus rücken. Da es mit großer Sicherheit in den kommenden 100 Jahren weitere signifikante Lücken zwischen Renditeerwartungen und Inflation oder Finanzmarktkrisen geben wird, wird der Staat bei der Endlagerung mit hoher Wahrscheinlichkeit nachfinanzieren müssen. Die Fondspolitik wird dadurch in ihrer Bedeutung relativiert, was durchaus ein window of opportunity darstellt. Die gesellschaftliche Debatte um die Endlagerung in Deutschland kann um die Frage ergänzt werden, wie die Investments entlang harter Kriterien ausschließlich sozial-ökologisch und nachhaltig angelegt werden können.
Eine reine Rendite- und Wachstumsorientierung überdeckt und ignoriert die erheblichen Ungewissheiten, die Finanzmärkten dieser Welt immanent sind. Ein öffentlich-rechtlicher Investmentfonds muss reguliert und kontrolliert werden sowie transparent agieren. Andernfalls kann nicht überprüft werden, ob die Stiftung ihren Anforderungen (KENFO o. J.), einen Beitrag zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz zu leisten, gerecht wird. Nur wenn die Stiftung ihre Anlage- und Investitionsstrategien strikt an den eigenen politischen Grundprinzipien ausrichtet, wird sie einen Beitrag zur Energiewende und zu einer partizipativen, transparenten, selbsthinterfragenden und lernenden Standortsuche für ein Endlager leisten. Den Ungewissheiten kann also durchaus mit politischen Gewissheiten begegnet werden.
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Fußnoten
1
In Deutschland nimmt 2022/23 die Debatte über die Rentenfinanzierung am Kapitalmarkt Fahrt auf, die die umlagefinanzierte Rente ergänzen soll. Für die Verwaltung der hierfür vorgesehenen Finanzmittel wurde bereits der KENFO ins Spiel gebracht.
 
3
Durch schrittweise Zahlung des Risikozuschlags soll die Enthaftung der Betreiber erfolgen.
 
4
Die Differenz zwischen der Berechnung aus dem Jahr 2016 und der Überweisung im Jahr 2017 ergibt sich, so unsere Recherche, aus einer Empfehlung der KfK zur Anpassung an das Preisniveau.
 
7
Siehe hierzu http://​dip21.​bundestag.​de/​dip21/​btd/​19/​062/​1906247.​pdf. Hier finden sich auch die Zitate in diesem Absatz. Zugegriffen: 21. Dez. 2023.
 
8
Bis zum Zeitpunkt des Drucks haben sich einige Nachhaltigkeitskriterien des KENFO verändert. Fragen zu Verbindlichkeit und Effektivität dieser überarbeiteten Kriterien stellen sich noch immer und müssen in weiteren Untersuchungen detailliert berwertet werden.
 
13
Für einen ersten Überblick siehe https://​www.​stenfo.​ch/​kosten-beitraege/​, Zugegriffen: 10. Januar 2024.
 
Literatur
Zurück zum Zitat Brunnengräber, Achim (2016): Das wicked problem der Endlagerung. Zehn Charakteristika des komplexen Umgangs mit hochradioaktiven Reststoffen. In: Achim Brunnengräber (Hg.): Problemfalle Endlager. Gesellschaftliche Herausforderungen im Umgang mit Atommüll. Baden-Baden: edition sigma in der Nomos Verlagsgesellschaft, S. 145–166. Brunnengräber, Achim (2016): Das wicked problem der Endlagerung. Zehn Charakteristika des komplexen Umgangs mit hochradioaktiven Reststoffen. In: Achim Brunnengräber (Hg.): Problemfalle Endlager. Gesellschaftliche Herausforderungen im Umgang mit Atommüll. Baden-Baden: edition sigma in der Nomos Verlagsgesellschaft, S. 145–166.
Zurück zum Zitat Brunnengräber, Achim; Di Nucci, Maria Rosaria; Häfner, Daniel; Isidoro Losada, Ana María (2014): Nuclear Waste Governance – ein wicked problem der Energiewende. In: Achim Brunnengräber und Maria Rosaria Di Nucci (Hg.): Im Hürdenlauf zur Energiewende. Von Transformationen, Reformen und Innovationen. Wiesbaden: Springer VS, S. 389–399. Brunnengräber, Achim; Di Nucci, Maria Rosaria; Häfner, Daniel; Isidoro Losada, Ana María (2014): Nuclear Waste Governance – ein wicked problem der Energiewende. In: Achim Brunnengräber und Maria Rosaria Di Nucci (Hg.): Im Hürdenlauf zur Energiewende. Von Transformationen, Reformen und Innovationen. Wiesbaden: Springer VS, S. 389–399.
Zurück zum Zitat Brunnengräber, Achim; Mez, Lutz (2016): Der staatlich-industrielle Atomkomplex im Zerfall. Zur politischen Ökonomie der Endlagerung in der Bundesrepublik Deutschland. In: Achim Brunnengräber (Hg.): Problemfalle Endlager. Gesellschaftliche Herausforderungen im Umgang mit Atommüll. Baden-Baden: edition sigma in der Nomos Verlagsgesellschaft, S. 289–311. Brunnengräber, Achim; Mez, Lutz (2016): Der staatlich-industrielle Atomkomplex im Zerfall. Zur politischen Ökonomie der Endlagerung in der Bundesrepublik Deutschland. In: Achim Brunnengräber (Hg.): Problemfalle Endlager. Gesellschaftliche Herausforderungen im Umgang mit Atommüll. Baden-Baden: edition sigma in der Nomos Verlagsgesellschaft, S. 289–311.
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Zurück zum Zitat Ehmke, Wolfgang (2022): Das Wunder von Gorleben. Der Beitrag des Wendlands zur Energiewende. 1. Auflage. Lüchow (Wendland): Köhring. Ehmke, Wolfgang (2022): Das Wunder von Gorleben. Der Beitrag des Wendlands zur Energiewende. 1. Auflage. Lüchow (Wendland): Köhring.
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Zurück zum Zitat Meyer, Bettina (2012): Rückstellungen für Rückbau und Entsorgung im Atombereich. Thesen und Empfehlungen zu Reformoptionen. Berlin/Kiel: Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft, Green Budget Germany (GBG). Meyer, Bettina (2012): Rückstellungen für Rückbau und Entsorgung im Atombereich. Thesen und Empfehlungen zu Reformoptionen. Berlin/Kiel: Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft, Green Budget Germany (GBG).
Zurück zum Zitat Scherwath, Tim; Wealer, Ben; Mendelevitch, Roman (2019): Nuclear Decommissioning after the German Nuclear Phase-Out. An Integrated View on New Regulations and Nuclear Logistics. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung. Berlin. Scherwath, Tim; Wealer, Ben; Mendelevitch, Roman (2019): Nuclear Decommissioning after the German Nuclear Phase-Out. An Integrated View on New Regulations and Nuclear Logistics. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung. Berlin.
Zurück zum Zitat Schulz, Claudia (2016): Fonds oder Rückstellungen? Atommüll als Private Good und Public Bad. In: Achim Brunnengräber (Hg.): Problemfalle Endlager. Gesellschaftliche Herausforderungen im Umgang mit Atommüll. Baden-Baden: edition sigma in der Nomos Verlagsgesellschaft, S. 261–287. Schulz, Claudia (2016): Fonds oder Rückstellungen? Atommüll als Private Good und Public Bad. In: Achim Brunnengräber (Hg.): Problemfalle Endlager. Gesellschaftliche Herausforderungen im Umgang mit Atommüll. Baden-Baden: edition sigma in der Nomos Verlagsgesellschaft, S. 261–287.
Zurück zum Zitat Wieland-Blöse, Heike; Jonas, Martin (2015): Gutachterliche Stellungnahme zur Bewertung der Rückstellungen im Kernenergiebereich. Warth & Klein Grant Thornton AG. Wieland-Blöse, Heike; Jonas, Martin (2015): Gutachterliche Stellungnahme zur Bewertung der Rückstellungen im Kernenergiebereich. Warth & Klein Grant Thornton AG.
Metadaten
Titel
Wicked Financing der Endlagerung: Ungewissheiten, Widersprüche und Herausforderungen
verfasst von
Achim Brunnengräber
Jan Sieveking
Copyright-Jahr
2024
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-42698-9_8