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2024 | Buch

By Disaster or by Design?

Transformative Kulturpolitik: Von der Polykrise zur systemischen Nachhaltigkeit

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Über dieses Buch

Jede große Transformation in der Geschichte der Menschheit wurde bisher von einer kulturellen Revolution ausgelöst und begleitet. Diese Publikation zeigt, warum dies auch für die Transformation zur Nachhaltigkeit gilt. Im Fokus stehen nicht nur Werte, Menschen- und Naturbilder, sondern auch die gesellschaftliche Verantwortung von Bildung, Wissenschaft, Kunst und Medien. Für die zweite Auflage wurden die Inhalte überarbeitet und aktualisiert, Thesen geschärft und neue Studien einbezogen.

Gegenwärtig befinden wir uns zwischen zwei großen gesellschaftlichen Transformationen: Die erste ist die kapitalistisch-industrielle, die vor fünf Jahrhunderten begann, bis heute dominiert und sich am Kulturprogramm der Modernisierung orientiert. Sie hat die Gesellschaft in eine Polykrise geführt, es droht ein Zivilisationskollaps. Die zweite Transformation ist jene zur Nachhaltigkeit, die sich an „Visionen einer anderen Entwicklung“ jenseits von Wachstum und Massenkonsum orientiert. Diese beiden Transformationen verdrängen sich an einigen Stellen gegenseitig und vermischen sich an anderen. Einerseits ist es die schwächere Transformation, die oft assimiliert wird. So werden derzeit eine „ökologische Modernisierung“ und ein „nachhaltiges Wachstum“ theorisiert, obwohl solche Ansätze Widersprüche an sich sind. Andererseits ist die soziale und ökologische Umwelt ein politisches Subjekt, das immer stärker in Dynamiken und Debatten mitmischt. So oder so wird sich an den Reibungsflächen zwischen den beiden Transformationen entscheiden, wie sich die Transformation zur Nachhaltigkeit am Ende durchsetzt: by Disaster or by Design.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Kapitel 1. Welche Transformation?
Zusammenfassung
Fortschritt und Krise sind keine Gegensätze: Das macht uns die Gegenwart bewusst. In der Geschichte der Menschheit begann die Abwärtsspirale mancher Zivilisationen ausgerechnet am Höhepunkt ihrer Entwicklung. Wie können Gesellschaften selbst dann an einem Entwicklungspfad festhalten, wenn er sie in den Abgrund führt? Diese Publikation sucht die Antwort in der Kultur. Neben der Umwelt bildet sie die zweite heimliche Macht im Anthropozän. Denn Kultur ist der „Bauplan der Gesellschaft“, der sich durch Entwicklung materialisiert. Als „DNA der Gesellschaft“ hält die Kultur das soziale System trotz Arbeitsteilung zusammen und reguliert gleichzeitig seinen Austausch mit der Umwelt. Wenn das Verhältnis zwischen System und Umwelt gestört ist, dann liegt es in erster Linie an der Kultur. Während der erste Teil dieser Publikation den Wandel by Disaster untersucht, fokussiert sich der zweite Teil auf den Wandel by Design. Im ersten Teil geht es um die Ursachenforschung im Sinne Karl Polanyis, im zweiten Teil um die Transformation als Gegenwartsaufgabe. So wie die westlich geprägte Kultur, die sich globalisiert hat, die Welt in eine Polykrise geführt hat, so setzt eine Transformation zur Nachhaltigkeit einen Kulturwandel voraus. In diesem Kapitel werden die Inhalte, die Ziele und die Gliederung des Werkes vorgestellt.
Davide Brocchi

Wandel by Disaster: Ursachenforschung

Frontmatter
Kapitel 2. Transformation als Fortschritt
Zusammenfassung
In diesem Kapitel wird zunächst erläutert, wie zu Beginn der Geschichte die Kultur zum Fundament des Fortschritts wurde: Eine kognitive Revolution hat vor circa 70.000 Jahren das Verhältnis des Menschen zur Natur grundlegend geändert. Es waren die Kultur und die Schrift, die die Gesellschaft überhaupt möglich machten. Später war es die wissenschaftliche Revolution, die der industriellen Revolution den Weg ebnete und die vermeintliche Herrschaft des Menschen über die Natur ermöglichte. Die daraus folgende Modernisierung und neoliberale Globalisierung sind Entwicklungsmodelle, die die Welt nach dem Vorbild einer Idee gestalten (Rationalisierungsprozess). Ihre Logik besteht aus drei zusammenhängenden Dynamiken im Verhältnis System-Umwelt: die Internalisierung von Ordnung (W. Catton; R. Heinberg), die Externalisierung von Unordnung (S. Lessenich) und die expansive Dynamik. Dabei versuchen die Wohlstandsinseln die Unordnung (Folgen des Klimawandels, Abfall, Armut, Konflikte…) durch „Grenzen als Sortiermaschinen“ fernzuhalten (S. Mau). Wie können Massen von Menschen diese Entwicklung hinnehmen oder ertragen, selbst wenn sie deren Opfer sind? In Demokratien basiert die Ordnung nicht mehr auf der Androhung von Gewalt, sondern auf der Macht von Kultur.
Davide Brocchi
Kapitel 3. Transformation als Polykrise
Zusammenfassung
Die große Erzählung des Fortschritts ist jene eines stetig steigenden Wohlstands für alle. Tatsächlich stellt sich heute diese Erzählung immer mehr als Illusion dar. Dieses Kapitel fokussiert sich auf eine Entwicklung, die schon vom Sozialanthropologen Karl Polanyi 1944 prophezeit wurde. Anders als der Fortschritt glauben lässt, stellt die Zukunft keine lineare, planbare Fortführung der Vergangenheit dar, denn es drohen „Kipppunkte“ (Tipping Points). Je länger die Gesellschaft an nicht-nachhaltigen Denkmodellen festhält, desto wahrscheinlicher wird der Kollaps. Anhand drei historischer Fallbeispiele wird zunächst gezeigt, warum der Untergang die Kehrseite des Fortschritts ist. Danach geht es um die Empirie der heutigen Polykrise. Sie wird anhand vier zusammenhängender Dimensionen (Ökologie, Ökonomie, Soziales, Kultur) dargestellt. In der Krisendynamik entfaltet sich eine Logik, die eine starke kulturelle Komponente hat. Gesellschaftliche Krisen sind oft die Folge eines „anästhetischen Zustandes“ beziehungsweise einer Unfähigkeit zu lernen.
Steffen Kersken
Kapitel 4. Kulturpolitik der Krise
Zusammenfassung
Die Krise der Gesellschaft ist auch eine Krise ihrer Kulturpolitik. In diesem Kapitel wird beschrieben, warum die Kulturpolitik selbst in der Systemlogik gefangen ist und deshalb bisher unfähig war, der Umweltlogik gerecht zu werden. Trotzdem werden gesellschaftliche Krisen in der Kulturpolitik aufgegriffen, vor allem dann, wenn sie sich auf den eigenen Kompetenzbereich auswirken. Die Corona-Krise, die Klimakrise und der Ukraine-Krieg dienen hierfür als Fallbeispiele. Die Kulturpolitik hat die dominante Entwicklung an der einen oder anderen Stelle korrigieren können, gleichzeitig reproduziert sie jedoch einen nicht-nachhaltigen Habitus.
Steffen Kersken

Gegenwartsaufgabe: Wandel by Design

Frontmatter
Kapitel 5. Transformation als Systemwechsel
Zusammenfassung
Krisen können eine Chance sein: Eben auf dieser Hoffnung basiert die Möglichkeit einer nachhaltigen Transformation. Wenn Probleme niemals mit derselben Denkweise gelöst werden können, durch die sie entstanden sind, dann setzt ein Wandel by Design eine ideologische Dekontaminierung der bisherigen Nachhaltigkeitsdebatte voraus, das heißt ihre Emanzipation vom alten Kulturprogramm der Modernisierung. So ist Nachhaltigkeit in ihrem weiten Verständnis ein Dachbegriff für „Visionen einer anderen Entwicklung“. Einerseits steht sie für Krisen-Resilienz, andererseits für die Frage nach einem guten Leben, das nicht auf Kosten anderer geht. In beiden Fällen meint Nachhaltigkeit mehr Gemeinwesen statt Privatwesen: Warum und wozu müssen wir immer weiterwachsen, wenn wir auch miteinander teilen und gerecht umverteilen können? Eine Transformation zur Nachhaltigkeit kann nur als systemische Wende gelingen. Im Westen erfordert sie einen Prozess der Demokratisierung der Demokratie und die Wiedereinbettung der Wirtschaft in die Gesellschaft. Eine nachhaltige Transformation wird menschengerecht gestaltet und aus dem Lokalen heraus vorangetrieben. Dabei sind Räume als Gemeingut, eine „erweiterte Agora“ sowie neue Allianzen entscheidend. Nachhaltigkeit und Modernisierung unterscheiden sich nicht nur in Bezug auf Ziele und Akteure, sondern auch im Transformationsdesign.
Steffen Kersken
Kapitel 6. Transformation als Kulturwandel
Zusammenfassung
Eine kulturelle Perspektive erweitert das Verständnis von Nachhaltigkeit. Denn nicht der Nachhaltigkeitsbegriff an sich ist für die Transformation entscheidend, sondern der geistige Referenzrahmen, in dem er verwendet wird. Gleichzeitig erweitert die Perspektive der Nachhaltigkeit das Verständnis von Kultur. Ab 2000 hat es im deutschsprachigen Raum mehrere Versuche gegeben, Brücken zwischen Kultur und Nachhaltigkeit zu schlagen. Sie werden hier in zwei Stränge unterteilt, die jeweils einem anderen Kulturverständnis entsprechen: Kultur als gesellschaftlicher Bereich und Kultur als allumfassende Dimension der Gesellschaft. Die Kulturökologie hat das Potenzial, diese Stränge in eine einheitliche Theorie zusammenzuführen. Zuletzt beschäftigt sich das Kapitel mit der Kulturpraxis der Transformation. Der Wandel zur Nachhaltigkeit erfordert Möglichkeiten der gesellschaftlichen Selbstreflexion und des Perspektivenwechsels, den intra- und interkulturellen Dialog, einen Wandel in den Medien und eine Kulturbewegung, transformative Spielwiesen sowie neuartige Rituale.
Davide Brocchi
Kapitel 7. Kulturpolitik der Transformation
Zusammenfassung
Wie verhält sich die Kulturpolitik zur Transformation? Was macht eine transformative Kulturpolitik aus? In Bezug auf Transformation liegt die wichtigste Erkenntnisquelle in der Praxis, so werden hier zwei praktische Fallbeispiele dargestellt und reflektiert: Im ersten geht es um den Wandel einer ländlichen Kulturregion (Oberes Mittelrheintal) und das Programm „TRAFO – Modelle für Kultur im Wandel“ der Kulturstiftung des Bundes; im zweiten um die Transformation der Soziokultur. Wie die Kultur ist auch die Kulturpolitik Teil des Problems und kann doch Teil der Lösung sein, vorausgesetzt, sie transformiert sich selbst. In den Kap. 5 und 6 wurden die wesentlichen Elemente einer Transformation zur Nachhaltigkeit beschrieben: Daraus lassen sich die Elemente einer transformativen Kulturpolitik ableiten.
Davide Brocchi
Kapitel 8. Jedes Ende ist ein neuer Anfang
Zusammenfassung
Dieses Kapitel fasst die Schlussfolgerungen aus diesem Werk zusammen. Es kann keine Nachhaltigkeit gelingen, ohne die Nicht-Nachhaltigkeit zu überwinden. Während der erste Teil der Publikation den Wandel by Disaster untersucht hat, fokussierte sich der zweite Teil auf den Wandel by Design. Im ersten Teil ging es um die Ursachenforschung im Sinne Karl Polanyis, denn für eine nachhaltige Bearbeitung der Polykrise müssen die gesellschaftlichen und kulturellen Strukturen in Rechnung gestellt werden, die diese Krise hervorbringen und fortlaufend verschärfen. Der zweite Teil behandelte die Transformation als Gegenwartsaufgabe. Die Ära der politischen und ökonomischen Alternativlosigkeit neigt sich dem Ende zu. Wir werden die Unordnung nicht überwinden, ohne eine bestimmte künstliche Ordnung loszulassen. Deshalb vollzieht sich ein Wandel by Design nicht nur by Planning, sondern auch by Unhanding und by Unleashing. Alle Zutaten für eine Transformation zur Nachhaltigkeit sind da, es braucht nur den passenden Katalysator, um sie neu zu mischen und zu aktivieren. Anders als am Beginn der Soziokultur sind daher heute Raumöffnende wichtiger als Raumbesetzende.
Davide Brocchi
Metadaten
Titel
By Disaster or by Design?
verfasst von
Davide Brocchi
Copyright-Jahr
2024
Electronic ISBN
978-3-658-42317-9
Print ISBN
978-3-658-42316-2
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-42317-9